Der Wind der Erinnerung
Nein. Wurde gefeuert, weil er Mr. Blanchard gesagt hat, wie schlimm Geschäft ist.«
»Wie bitte?« Es fiel ihr nicht ganz leicht, Mikhails Englisch zu verstehen.
»Nun, Charlie ist Einziger, der je gesagt hat, dass Geschäft schlimm ist.«
»Die Farm ist ein schlimmes Geschäft?«
Mikhails Lachen verwandelte sich in einen Hustenanfall. Beattie wartete geduldig, bis er sich beruhigt hatte. »Mr. Blanchard interessiert nicht für Schafe. Du weißt das. Er verliert Geld jedes Jahr. Kann Leute nicht halten. Hat zweitausend Schafe. Bringen vielleicht fünfundzwanzig Ballen Wolle im Jahr. Nicht genug. Geschäft ist wenig wert. Ich glaube, Mr. Blanchard wird bald von Vater nach England gerufen. Ganzes Geld dann weg.« Er zuckte mit den Schultern. »Dann haben alle keine Arbeit.«
Beatties Herz setzte einen Moment lang aus. Wenn sie keine Arbeit und kein Geld hätte, würde Henry ihr Lucy vielleicht für immer wegnehmen. »Wirklich? Meinst du, das passiert tatsächlich?«
Er schlürfte seine Suppe und wischte sich das Gesicht an der Serviette ab. »Wer weiß? Vielleicht diese Schur, vielleicht nächste. Wir alle machen weiter und hoffen.«
Beattie wurde bewusst, dass sie schon zu lange hier gewesen war. Alice würde auf sie warten. »Ich gehe jetzt wieder.« Sie aß das Brot auf und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Vielen Dank, Mikhail.«
»Du nicht sagst Mr. Blanchard, ich habe geredet?«
»Natürlich nicht.«
Sie eilte zurück über die Koppel.
Wir alle machen weiter und hoffen.
Mikhail hatte recht, man durfte sich nicht das Schlimmste ausmalen. Noch nicht.
Der Samstagmorgen war bedeckt, und es drohte zu regnen, doch Lucy strahlte wie der Sonnenschein. Sie plauderte fröhlich, als Beattie ihr das rotgoldene Haar zu Zöpfen flocht, und konnte nicht still halten. Margaret machte den Morgentee für die Gäste, die bald erwartet wurden, und summte leise vor sich hin. Es duftete nach Tee und gerösteten Rosinenbrötchen. Das gute Porzellan mit den grünen Blumen klirrte, als sie den Tisch deckte. Dennoch spürte Beattie eine wachsende Angst.
Heute würden sie ihr kleines Mädchen holen.
Sie wusste, dass es keinen Grund zur Sorge gab. Henry liebte Lucy und würde gut zu ihr sein. Dennoch machte die Angst sie ganz nervös, so dass sie zu schnell redete und ihre Finger ungeschickt wurden.
»Aua, du ziehst mir an den Haaren«, protestierte Lucy.
»Tut mir leid, mein Schatz.« Beattie band eine Schleife in jeden Zopf und trat zurück. »Du siehst wunderbar aus.«
Lucy wirbelte kokett herum. »Daddy findet mich bestimmt ganz erwachsen.«
Wieder erwachte der Schmerz in ihrer Brust. »Ganz sicher.« Dann hörte sie ein Auto, und ihr Herzschlag dröhnte in den Ohren.
»Das müssen sie sein«, sagte Margaret, als sie die Butterdose auf den Tisch stellte. »Lucy, würdest du …«
Bevor sie zu Ende gesprochen hatte, schoss das Mädchen schon zur Tür. »Daddy, Daddy!«
Beattie sah Margaret mit einem gequälten Lächeln an. Diese nickte mitfühlend, hatte vielleicht ein schlechtes Gewissen.
»Alles wird gut, du wirst schon sehen.«
»Aber mir geht es nicht gut.«
Margaret tat ihren Einwand ab. »Kinder gehören uns nicht ein Leben lang. Alle Eltern müssen irgendwann loslassen.«
Beattie verkniff sich zu sagen, dass Margaret selber keine Kinder habe und daher nicht wisse, wie es sich anfühle. Stattdessen ging sie Lucy hinterher.
Die Tür stand weit offen, und das Mädchen hatte sich dem Vater schon am Gartentor in die Arme geworfen. Beattie verspürte einen Stich der Eifersucht, freute sich aber auch über Lucys Glück.
Henry ließ Lucy los und schob sie vor sich her. Sein Blick begegnete Beatties, und einen Moment lang erkannte sie den alten Henry, in den sie sich verliebt hatte. Dann war das Bild verschwunden, zurück blieb nur die Reue.
Margaret war neben sie getreten und begrüßte die Gäste. »Sie kommen genau richtig. Lucy hat mir den ganzen Morgen geholfen.«
Das entsprach nicht unbedingt der Wahrheit. Lucy hatte helfen wollen, aber nur geplappert und in der Küche getanzt, während Margaret arbeitete. Dennoch strahlte die Kleine vor Stolz.
Die Frau trug einen langen, maßgeschneiderten Mantel, grau wie der kalte Himmel, dazu Hut und Handschuhe. Sie ging ein Stück hinter Henry, den Kopf gesenkt. Auf der Veranda blieb er stehen und schob sie nach vorn. »Ich möchte euch meine Frau Molly vorstellen.«
Das war nicht Molly, der irische Wolfshund, wie er sie einmal genannt hatte.
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