Der Wind der Erinnerung
durchaus ertragreich sein. Sie könnten sieben- bis achttausend Schafe darauf weiden lassen. Wenn sie gut geführt wird, werden Sie damit reich.«
Beattie nickte. Es würde also noch eine Weile dauern, bis sie Henry davon überzeugen konnte, ihr Lucy zurückzugeben. Zuerst stand harte Arbeit an. »Wenn ich gewinne, werde ich sie behalten.« Sie hörten Raphaels Schritte.
»Ich wünsche Ihnen Glück, meine Liebe. Und falls es nicht so läuft, wie Sie hoffen, wünsche ich Ihnen viel Kraft.«
Tränen brannten in ihren Augen.
Tief durchatmen. Hände ruhig.
Nun würde sie herausfinden, was für eine Frau sie war.
Die Welt drehte sich langsamer. Raphael schüttete die Knöpfe auf den Tisch und teilte sie gleichmäßig zwischen ihnen auf. Sie hatten verschiedene Formen und Größen. Beattie entdeckte einen roten, schleifenförmigen Knopf, der zu einem Kleid von Lucy gehörte. Sie schob drei Knöpfe nach vorn, er tat es ihr nach.
Dann gab er. Sie nahm die Karten auf und schloss die Augen, bevor sie sie ansah. Stellte sich vor, sie sei alleine mit Mikhail in ihrem Zimmer und spiele zum Zeitvertreib. Dann öffnete sie die Augen.
Eine Dame, eine Vier, eine Sechs und eine Zwei.
Selbstsicher warf Raphael eine Karte auf den Tisch und nahm eine neue. Schob einen weiteren Knopf in die Mitte. Lehnte sich zurück und sah sie an.
Er hatte vier von irgendetwas. War es eine Straße? Oder ein Vierling? Hoffte er auf ein Full House?
Sie warf ihre nutzlosen Karten hin und nahm drei neue. Genauso nutzlos. Am Anfang konnte sie noch etwas riskieren und ging mit.
Sie hatte zwei Damen. Er vier Könige.
Sie verlor die erste Runde, und er hatte acht Knöpfe mehr als sie.
Raphael lachte, während er die Knöpfe einsammelte. Seine blassen Augen behielten sie ständig im Blick. Sie wollte ihre Enttäuschung verbergen, doch sie stand ihr ins Gesicht geschrieben. Zum ersten Mal erlaubte sie sich den Gedanken an eine Nacht mit ihm. Seine kalten Finger, seine feuchten Lippen, sein weicher Bauch …
»Noch eine Runde, Beattie?«, fragte er munter.
Sie nickte und schluckte schwer. Wie dumm sie gewesen war. »Noch eine Runde.« Sie setzte drei Knöpfe, nur so konnte sie ihren Verlust ausgleichen.
Er gab die Karten. Sie nahm sie rasch auf, wollte es hinter sich bringen. Diesmal hatte sie zwei Asse, zwei Vieren und eine Sechs. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Wenn sie mit Mikhail spielte, wäre es ganz einfach. Die Sechs weglegen und auf eine weitere Vier oder ein Full House hoffen. Hoher Einsatz.
Und da war sie. Die Vier. Sie hatte ein Full House. Sie nahm allen Mut zusammen und schob sieben Knöpfe in die Mitte.
Raphael ging mit und erhöhte um weitere sieben Knöpfe. Ihr Mut ließ sie im Stich. Sie ging mit und zeigte ihm ihre Karten. Er schaute sie an und warf seine missmutig dazu.
Erleichterung durchflutete sie. Sie nahm sich die Knöpfe, führte jetzt mit sechsundzwanzig.
Jetzt hing alles vom letzten Spiel ab.
Noch nie in ihrem ganzen Leben war Beattie so nervös gewesen. Ihr Magen kribbelte, das Blut schien von innen an den Adern zu reiben. Der Hauch einer Möglichkeit, dass sie nicht nur Raphaels Intimitäten vermeiden, sondern auch das Haus gewinnen könnte. In ihrem Kopf wurde es gleißend hell, und sie musste sich zwingen, sich aufs Spiel zu konzentrieren.
Wieder klebten seine Augen an ihr, zornig und lustvoll zugleich. Er schob drei Knöpfe in die Mitte, sie tat es ihm nach. Die Karten landeten vor ihr. Sie nahm sie auf.
Ein Alptraum. Zwei Zweien, Pik-Vier und -Fünf und ein König. Sie hatte keine Ahnung, was sie damit machen sollte. Raphael erhöhte um zehn Knöpfe und nahm zwei neue Karten. Hatte er einen Dreier? Wenn ja, wäre sie ruiniert. Sie zögerte, noch immer unschlüssig. Dann ging sie mit und beschloss, die Pik-Karten wegzulegen und auf einen weiteren König oder eine Zwei zu hoffen.
Und da war er, der König. Das Blut rauschte in ihren Ohren.
Raphael setzte weitere zehn Knöpfe. Er war sich seiner Sache sicher. Sie überschlug rasch im Kopf. Wenn er gewann, würde er sie um zwanzig Knöpfe übertrumpfen. Wenn sie ausstieg, wäre Gleichstand, und sie müssten ein Entscheidungsspiel machen.
Er nahm eine weitere Karte und gab ein zufriedenes Geräusch von sich. Sie verlor den Mut. Er schaute sie an, ein Lächeln kräuselte seine Lippen.
Dann sah sie es. Eine winzige Bewegung der Pupillen, sie zogen sich zusammen. Sie erinnerte sich daran, wie sie Henry in Glasgow beim Spiel beobachtet hatte und was es
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