Der Wind der Erinnerung
Großvater geschrieben hatte, in dem sie berichtete, dass er die ersten Schritte seines Sohnes Mike verpasst habe, und doch konnte sie ihn unmöglich geschrieben haben. Wenn er in einem Buch von 1939 gelegen hatte, musste der Brief geschrieben worden sein, lange bevor sie Grandpa kennenlernte.
Außer natürlich, er war doch an ihn gerichtet und nur zufällig in dem alten Buch gelandet.
Doch noch während ich logisch darüber nachdachte, musste ich es mir eingestehen. Der Brief war nicht für Grandpa. Keiner ihrer Briefe hatte jemals so leidenschaftlich geklungen. In ihnen fanden sich Sätze wie »Danke, dass du so vernünftig bist« und »Es war sehr lieb von dir, mir ein so reizendes Geschenk zu schicken« und »Wenn du nach Hause kommst, sollten wir den Weihnachtsurlaub planen.«
Wenn du in mir bist …
»Himmel, Grandma«, murmelte ich, »du steckst wirklich voller Überraschungen.«
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Neunzehn
Beattie
Z weitausend Schafe, ein leeres Haus und ein Geschäft, das vor dem Ruin stand.
Mikhail hatte ein Kaninchen gefangen, und Beattie legte das sehnige Fleisch gerade auf zwei Teller. Dazu gab es Kartoffeln aus dem Gemüsegarten. Einen Esstisch gab es nicht. Beattie hatte die Räume, in denen keine Möbel standen, verschlossen. Das Echo darin machte sie wahnsinnig. Mikhail hatte sein Bett in Alice’ altes Zimmer geschoben und Beattie dabei geholfen, das ihre nach oben ins große Schlafzimmer zu schaffen. Für die Küche hatte sie einen Tisch gekauft. Alle anderen Zimmer waren leer.
In den zwei Monaten, in denen ihr Wildflower Hill gehörte, hatte sie ihr Bestes getan. Doch wie sollte sie Mikhail sagen, dass ihr Bestes nicht gut genug war? Dass sie den Besitz verkaufen müsste? Wohin sollte er dann gehen?
Mit dem Haus und den Schafen hatte sie auch die Schulden übernommen. Der Wollertrag hatte nicht gereicht, um sie abzuzahlen. Beatties Nachbar, der listige Jimmy Farquhar, hatte rasch angeboten, einen Teil ihres Landes zu kaufen. Auf Anraten von Leo Sampson hatte sie ihm dreihundert Morgen verkauft und den größten Teil zur Abzahlung ihrer Schulden verwendet. Auch hatte sie ihre Angestellten ausbezahlt – Alice war sofort gegangen, doch Terry und Mikhail waren geblieben. Den Rest hatte sie beiseitegelegt. Mehr würde sie bis zur nächsten Schafschur nicht einnehmen. Es musste reichen; sie konnte nicht alles für Möbel und Essen ausgeben. Sie war gezwungen, aus nichts etwas zu zaubern.
Wenn Lucy zu Besuch kam, musste sie Fleisch, Hafermehl und Honig kaufen; dennoch würde ihre Tochter in Beatties Bett schlafen. Henry würde sie für eine Närrin halten, weil sie das Haus behielt. Leo Sampson hielt sie schon jetzt dafür. Und sie glaubte es allmählich selbst.
Mikhail hatte sie nicht im Stich gelassen. Er tat, was immer sie von ihm verlangte, ging in die Stadt, half Terry beim Zaunflicken, putzte die Küche oder hörte einfach zu, wenn sich Beattie über das furchtbare Chaos beschwerte, das in den Geschäftspapieren herrschte. Jeden Tag verbrachte sie Stunden damit, sie auszusortieren. Aber sie kamen irgendwie zurecht.
Heute aber war Terry bei ihr gewesen.
»Es tut mir leid«, hatte er gesagt, und seine hellblauen Augen blickten aufrichtig, »aber Farquhar nebenan hat mir einen Job angeboten. Ich muss ihn annehmen.«
»Warum musst du das?«, hatte sie wütend entgegnet.
»Weil dir vor der nächsten Schur das Geld ausgehen wird und du mich ohnehin entlassen musst. Ich kann mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen.«
Sie konnte es ihm nicht verdenken. Er war für sie da gewesen, doch sie konnte sich nicht auf seinen guten Willen verlassen. Sie wusste, was finanzielle Unsicherheit bedeutete, und hätte alles getan, um sie zu vermeiden. Doch seine Kündigung war der letzte Schlag für Beattie. Ohne Verwalter konnte sie die Farm nicht halten. Ohne Geld konnte sie keinen neuen Verwalter herlocken. Es war Zeit, ihren törichten Traum aufzugeben. Es war Zeit, Wildflower Hill zu verkaufen und sich ein Häuschen in Hobart zuzulegen, um in Lucys Nähe zu sein. Dort könnte sie sich nach einer anderen Arbeit umsehen. Sich in ein bescheidenes Leben fügen, statt von Reichtum und Macht zu träumen.
Sie trug die beiden Teller zum Tisch und ging nach unten, um Mikhail zu rufen. Er kniete neben dem Gemüsebeet und reparierte die Drahtabdeckung. Er wirkte steif, als er sich erhob; er war erst Mitte fünfzig, doch die schwere körperliche Arbeit hatte ihn ausgelaugt. Es würde ihm schwerfallen, eine neue
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