Der Wind der Erinnerung
schwieg.
»Er hat es auf mich abgesehen, weil die Zeiten schlecht sind. Er hat mir schon den Verwalter abgeworben.«
»Ich finde, Sie sollten das Angebot annehmen. Damit wäre Ihre Zukunft gesichert.«
»Ich würde meine Zukunft
verkaufen
«, sagte Beattie. »Und die meiner Tochter.«
»Es ist mehr, als Sie sich vor einem Jahr hätten träumen lassen, Beattie.«
»Aber seither habe ich mir sehr viel mehr erträumt.« Sie seufzte. »Ich bin keine Närrin, ich denke darüber nach.«
Keine Stunde nachdem sie sich verabschiedet hatte, klopfte es erneut. Da sie selten Besuch erhielt, ging sie neugierig zur Tür.
Vor ihr stand ein großer, dunkelhäutiger Mann in weißem Hemd und dunkler Hose. Das lockige Haar quoll unter seinem Hut hervor und fiel ihm fast bis auf die Schultern. Beattie brauchte einen Augenblick, bis sie Charlie Harris wiedererkannt hatte.
Sie musste unwillkürlich lächeln. »Sie sind also gekommen.«
Er lüftete grinsend den Hut. »Habe Ihren Brief bekommen, Missus. Kann ich reinkommen und mit Ihnen darüber reden?«
Zwei schwarz-weiße Hunde begleiteten ihn, blieben aber respektvoll sitzen, als sie die Tür weiter öffnete. Andere Frauen wären sehr viel vorsichtiger gewesen, wenn ein Aborigine sie aufsuchte, während sie allein im Haus waren. Dieser Mann aber hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um ihre Tochter aus den Fluten zu retten.
Außerdem war sie anders als andere Frauen.
Beattie führte Charlie in die Küche und setzte den Wasserkessel auf den Herd. Er brachte seinen Hunden eine Schale Wasser nach draußen, kam zurück und ließ sich auf einem Stuhl nieder. Sein großer, schlanker Körper wirkte lässig und geschmeidig.
»Ich hoffe, ich habe Ihnen keine Mühe gemacht«, sagte Beattie und gab Teeblätter in die Kanne. Sie konnte kaum die Augen von seinen langen Beinen wenden.
»Ganz und gar nicht. Ich liebe Wildflower Hill und bin ganz versessen darauf, zurückzukommen. Sonst wäre ich nicht den ganzen Weg von Bligh zu Fuß gelaufen.«
»Ich muss Ihnen allerdings einige Dinge erklären.«
»In der Tat. Als ich Sie das letzte Mal gesehen habe, hatten Sie nur einen nassen Karton und ein kleines rothaariges Mädchen bei sich. Jetzt haben Sie mehr als einen nassen Karton.«
»Raphael Blanchard hat seinen Besitz zugrunde gerichtet. Er musste verkaufen. Mein Onkel in Schottland war gerade gestorben und hatte mir etwas hinterlassen.« Na bitte, das Lügen war doch gar nicht so schwer.
»Verstehe. Und das kleine rothaarige Mädchen?«
»Sie lebt im Moment bei ihrem Vater. Aber sie kommt am Ende der Woche zu Besuch.«
Beattie bereitete den Tee zu, stellte das Tablett auf den Tisch und sah zu, wie Charlie drei Löffel Zucker in seine Tasse gab. Er trank hastig wie ein Mann, der vor Durst umkommt, schien sich dann aber an seine Manieren zu erinnern, lehnte sich zurück und nippte höflich an seiner Tasse.
»Lassen Sie mich ehrlich zu Ihnen sein, Mr. Harris. Ich habe kein Geld. Ich habe dreihundert Morgen verkauft, um die Schulden abzuzahlen, und jetzt geht mir das Geld aus. Ich stehe kurz davor, alles zu verkaufen. Wenn Sie bereit sind, für mich zu arbeiten, werde ich genügend Land veräußern, um Ihren Lohn zu zahlen und noch ein bisschen länger durchzuhalten.«
»Verkaufen Sie nichts«, sagte er kopfschüttelnd. »Das ist ein feiner Besitz, Missus. Sie sollten ihn an niemanden verkaufen.«
»Nennen Sie mich Beattie. Aber ich habe leider nicht genügend Geld, um Sie vor der nächsten Schur zu bezahlen.«
»Wie bezahlen Sie denn Mikhail?«
»Gar nicht. Wir essen, was wir selber ziehen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Das kann ich auch.«
»Das ist aber nicht richtig, Mr. Harris.«
»Nennen Sie mich Charlie.« Er lächelte, und sie bemerkte ein tiefes Grübchen in seiner linken Wange, das ihn jungenhaft aussehen ließ.
Sie lächelte gegen ihren Willen. »Es ist nicht richtig, jemanden einzustellen, wenn man ihn nicht bezahlen kann.«
Er beugte sich vor und stellte die Tasse ab, schien nach Worten zu suchen. »Ich habe zugesehen, wie Raphael Blanchard die Farm zugrunde gerichtet hat. Er war ein Idiot. Sie können hier viel mehr Schafe weiden lassen. Sie sollten zur Bank gehen und sich genügend Geld leihen, um mindestens zweitausend weitere Tiere zu kaufen. Diese Farm ernährt mühelos siebentausend Stück. Sie könnten hundert Ballen Wolle im Jahr erzielen. Dann können wir darüber nachdenken, was Sie mir bezahlen.«
Beattie wusste, sie hätte nein sagen müssen. Doch
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