Der Wind über den Klippen
Lachssuppe ist fertig, und ich habe Hunger. Verstoßen wir gegen das Protokoll, wenn wir beim Reden essen?«
Ich musste lachen. Katrina erklärte stolz, sie habe die Suppe aus einem heute früh ganz in der Nähe gefangenen Lachs gekocht. Sie war heiß und sämig, das åländische Schwarzbrot, das es dazu gab, schmeckte ungewohnt süß, aber delikat. Wie von selbst kam das Gespräch auf das Brotbacken, denn ich konnte mir die Frage nach dem Rezept nicht verkneifen. Ich schluckte, als ich hörte, dass die Herstellung von svartbröd drei Tage in Anspruch nahm, aber vielleicht war Antti geduldig genug, es zu versuchen.
»Als ich Martti heiratete, habe ich wohl geglaubt, in ein Leben einzutreten, das ohne mein Zutun geregelt war, mit einem Mann, der bereits ein Kind hat und dessen zweites Kind in mir wächst.
Im Sommer habe ich mich in Riikka wiedererkannt: Auch sie hat nach einem älteren Mann gesucht und nach einem ausgetre-tenen Pfad, auf dem sie sich nicht mehr voranzukämpfen braucht. Zuerst hat Juha sie geführt, dann Tapio Holma. Ich würde ihr gern einen großmütterlichen Rat geben, obwohl das eigentlich nicht zu meinen Gepflogenheiten gehört.«
»Was würdest du ihr raten?«
»Vor Juhas Tod hätte ich ihr geraten, sich von ihrem Vater zu lösen, auszuziehen, aber allein. Eine Frau sollte zuerst lernen, mit sich selbst in einem Raum zu leben, bevor sie Männer und Kinder in ihr Leben verwickelt. Allerdings bin ich eine alte Einsiedlerin, wahrscheinlich würde mich niemand länger als eine Woche ertragen, und ich halte es auch mit keinem länger aus, selbst mit Mikke nicht mehr. Magst du einen Kaffee als Nachtisch?«
Erst als wir die große Tasse leer getrunken hatten und bei der zweiten waren, stellte ich die nächste Frage.
»Du hast bei der ersten Vernehmung ausgesagt, in der Nacht, in der Juha starb, habe ein Boot auf Rödskär angelegt. Kannst du mir darüber etwas Genaueres sagen? Wann war das, aus welcher Richtung kam es?«
»Schwer zu sagen, ich habe so unruhig geschlafen«, wich sie aus.
»Aber du bist dir deiner Sache sicher? Von den anderen hat nämlich keiner ein Boot gehört.«
»Nicht?« Ihr Gesicht wirkte erschöpft. »Dann muss ich es geträumt haben. Vielleicht habe ich mir unbewusst gewünscht, ich hätte ein Boot gehört und ein Außenstehender hätte Juha getötet.«
»Einer Aussage nach warst du während der Nacht draußen und hast mit Mikke gesprochen. Auch davon hast du nichts er-wähnt.«
»Nein? Ich habe doch gesagt, dass ich unruhig geschlafen habe.«
Ich zog eine Kopie des Vernehmungsprotokolls hervor.
»Stimmt, aber dass du draußen warst, hast du nicht gesagt, Mikke übrigens auch nicht.«
»Diese Vernehmung war doch unmittelbar nach Juhas Tod. Da war ich müde und erschüttert und habe mich vielleicht nicht an alles erinnert. Ja, ich war kurz draußen und bin dort auf Mikke gestoßen, der gerade von der ›Leanda‹ kam, ich glaube, er hatte die Vertäuung überprüft. Wir haben darüber gesprochen, ob wir schon frühmorgens in See stechen sollten, haben dann aber beschlossen, erst abzufahren, wenn Anne aufgestanden ist.
Mikke wollte sich außerdem von Jiri und Seija verabschieden.«
Sie hatte Zeit genug gehabt, sich auf jede denkbare Frage eine Antwort zurechtzulegen, ich würde sie kaum dazu bringen, etwas zu sagen, was sie verschweigen wollte. Also brachte ich das Gespräch erneut auf Juha.
»Was würdest du sagen, wenn ich behaupte, dass Juha Harri Immonen getötet hat?«
Ihre Augen verengten sich, hinter dem Grau schimmerte ein eigensinniges Blau auf.
»Ich würde dich fragen, wie du zu dieser Annahme kommst, aber überrascht wäre ich nicht.«
»Harri hatte herausgefunden, dass Juha schadhafte Behälter mit giftigen Lacken in den Gewässern von Rödskär versteckt hatte. Wenn das publik geworden wäre, hätte Juha einen Prozess wegen Umweltvergehen zu erwarten gehabt, und die Firma Merivaara AG wäre am Ende gewesen. Allem Anschein nach hat Juha gifthaltige Lacke der sowjetischen Marine als finnischen Ökolack zumindest nach Litauen exportiert.«
Katrina schaute nach draußen. Die Sonne begann ihren Abstieg vom Zenit, das Licht fiel bereits ein wenig schräg.
»Wenn du deinen Kaffee ausgetrunken hast, machen wir einen Strandspaziergang. Sonst schlafe ich ein, ich werde nach dem Essen immer müde.«
Ich zögerte. Den Recorder mitzuschleppen hatte ich keine Lust, also hatte das, was Katrina auf dem Spaziergang sagte, keine Beweiskraft. Trotzdem beschloss
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