Der Wind über den Klippen
ich, dass sie viel mehr Angst vor mir hatte als ich vor ihr.
»Hast du dir den Fuß verstaucht? Sollten wir besser ins Haus gehen?«, stammelte ich.
»Mir fehlt nichts. Was hattest du denn auf einmal?« Sie versuchte zu lächeln, doch es wurde nur eine klägliche Grimasse daraus. Den Blick suchend auf den Boden geheftet, stieg sie höher auf den Felsen. Schließlich hob sie einen fast kopfgroßen Stein auf und schleuderte ihn ins Meer. Ein dumpfes Platschen erklang, dann breiteten sich auf der glatten Wasserfläche große Kreise aus.
»Der Stein rollt nicht auf dem Wasser«, sagte sie und sah mich an. In ihren Augen standen Tränen. Da wusste ich es.
Achtzehn
Von Mattsboda aus ordnete ich telefonisch die Festnahme an.
Ich erklärte Katrina, es sei sinnlos, Mikke nach meiner Abfahrt zu warnen, er würde auf jeden Fall gefasst werden. Sie behauptete, das habe sie auch nicht vorgehabt, so traurig sie sei. Sie hatte ihren Sohn nicht verraten wollen. Wie hätte sie ahnen können, dass ich den Vers aus der Volksdichtungssammlung
»Kanteletar« kannte, in dem ein Brudermörder seiner Mutter verspricht, erst zurückzukehren, »wenn der Rabe weiß geworden, wenn der Stein rollt auf dem Wasser«. Antti hatte mit seinem Chor einmal ein Gedicht von Saarikoski über dieses Motiv gesungen:
Geh an das Ufer
Nimm Feder und Stein
Der Stein schwimmt
Es ist der Tag der Heimkehr deines Sohnes.
Doch es lag nicht nur an dem Zitat. Wer sonst hätte der Täter sein können? Alles hatte die ganze Zeit auf Mikke hingedeutet.
Ich hatte es nur nicht sehen wollen.
Auf der Fahrt von Svinö nach Mariehamn erhielt ich die Nachricht, Mikke Sjöberg sei festgenommen worden. Er hatte keinen Widerstand geleistet.
»Meine Maschine landet um Viertel vor sieben, lass mich bitte am Flughafen abholen. Wir beginnen heute Abend noch mit der Vernehmung«, wies ich Puupponen telefonisch an.
Allmählich fügte sich alles zusammen. Die russische Polizei hatte die Information geliefert, Tributylzinn sei von der Marine der ehemaligen Sowjetunion als Grundierung verwendet worden. Dem Experten, der Harris Laptop untersucht hatte, war es gelungen, auf der Festplatte Teile einer Datei ausfindig zu machen, die einen Bericht über die Auswirkungen von Tributylzinn auf die Meeresfauna – Fische, Muscheln und Weichtiere –
enthielt. Das Institut für Veterinärmedizin und Lebensmittelhygiene berichtete, Mikke Sjöberg habe sich im Frühherbst nach den Muscheln und Eiderenten erkundigt, die Harri Immonen dort abgeliefert hatte.
Warum Juha Merivaara die Giftlacktonnen ausgerechnet auf Rödskär versteckt hatte, war mir nicht klar. War die Insel ein Zwischenlager gewesen, wo die Litauer die Farbe bis zur Neuabfüllung deponiert hatten? Waren schadhafte Fässer skrupellos ins Meer geworfen worden? Juha war ein unglaubliches Risiko eingegangen, indem er giftige Lacke als umweltfreundliche Produkte exportierte. Hatte er geglaubt, in Litauen würden die Farben nicht kontrolliert? Vielleicht konnte mir Mikke darüber Aufschluss geben.
Im Taxfree am Flughafen kaufte ich eine Flasche Laphroaig und für Iida ein Plüschflugzeug. Diesmal wurde mir auf dem Flug nicht übel. Die Strahlen der sinkenden Sonne trafen fast waagerecht auf das Meer und malten goldene Brücken von einer Klippe zur anderen. Allmählich gewann die Dämmerung den Kampf um die Herrschaft über das Meer, bei der Zwischenlandung in Turku war es bereits dunkel. Jetzt schmeckte mir auch der Kaffee, ich trank drei Tassen, denn ich musste mit einer langen Nacht rechnen. Womöglich stritt Mikke alles ab, bisher hatten wir ja nur Indizien.
Mira Saastamoinen von der Schutzpolizei erwartete mich am Flughafen. Ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen und bat sie, das Blaulicht einzuschalten, obwohl keine besondere Eile bestand – abgesehen davon, dass ich den Fall möglichst bald an den Staatsanwalt weiterleiten wollte.
»Hast du schon gehört, dass die Revolution der Tiere heute vor dem Firmengelände von Orion demonstriert hat? Sie fordern die Freilassung aller Versuchstiere«, erzählte Mira, als wir von der Schnellstraße auf die Vihdintie abbogen.
»Nein, davon wusste ich nichts. Wie lief es denn?«
»Die Situation wäre beinahe außer Kontrolle geraten, wir mussten Tränengas einsetzen. An die dreißig Festnahmen, ein Teil der Demonstranten musste in Handschellen gelegt werden.
Akkila hat sich mit einer Demonstrantin herumgebalgt, am Ende mussten beide zum Arzt.«
»Dieser Idiot!«
»Die
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