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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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musste mir Mühe geben, seinem Blick nicht auszuweichen.
    »Lass mich gehen. Ich halte es nicht aus, im Gefängnis zu sitzen, das Meer zu verlieren. Ich würde tun, was ich gesagt habe: die ›Leanda‹ in einen Sturm lenken und mit ihr untergehen. Den Gefallen kannst du mir doch tun.«
    »Natürlich nicht«, sagte ich fest. »Wenn ich das täte, könnte ich nicht länger Polizistin sein.«
    Wenn Ström sich nicht das Leben genommen hätte, wäre ich womöglich schwach geworden. Nun aber wusste ich, wie sinnlos ein Selbstmord war. Und Mikke würde nicht allzu viele Jahre absitzen müssen.
    »Du wirst das Meer nicht endgültig verlieren. Nach dem, was du bisher ausgesagt hast, kommst du mit einer Anklage wegen Totschlag und mit einer kurzen Haftstrafe davon.«
    »Ich habe längst das Urteil über mich gesprochen. Meine Schuld kann ich nur mit dem Tod sühnen.«
    »Du irrst dich.«
    »Wie soll ich es Anne und den Kindern erklären?«
    »Das ist meine Aufgabe, es hat Zeit bis morgen.«
    »Nein, das muss ich schon selbst tun«, sagte Mikke und vergrub das Gesicht in den Händen. Ich stand auf und wollte gerade die Arme um ihn legen, als Puustjärvi zurückkam.
    Mikkes Kooperationswilligkeit erleichterte den Rest der Vernehmung. Wir waren bereits gegen halb neun fertig.
    »Und was jetzt? Zurück in die Zelle?«, fragte er, als ich die abschließenden Worte aufs Band sprach.
    »Ja. Ich spreche morgen mit dem Staatsanwalt, er wird am Donnerstag beschließen, ob du in Untersuchungshaft genommen wirst.«
    Es war wohl das Beste, den Staatsanwalt darüber zu informieren, dass Mikke mit Flucht und Selbstmord gedroht hatte. Ich wusste nicht, ob mich das zur Verräterin oder zum Schutzengel machte.
    »Hör mal … ich musste die ›Leanda‹ ziemlich überstürzt verlassen. Darf ich mir ein paar Sachen vom Boot holen?«
    Die Bitte konnte ich ihm nicht abschlagen. Puustjärvi begleitete Mikke in den Zellentrakt, um Jacke und Bootsschlüssel zu holen, während ich den Wagen vorfuhr. Ich wollte unbedingt selbst fahren, um nicht neben Mikke auf der Rückbank sitzen zu müssen.
    Puustjärvi beugte sich vor und drehte am Knopf des Autoradios, bis er eine bekannte Melodie entdeckte: »Das Schwarze Meer und der Mann« von Popeda. »Ich tat, was ich tat, und sie zahlten gut, einen Heimathafen habe ich nicht mehr. In meinem Innern ist das allertiefste Grab, dunkel und schwarz, brennend und nass.«
    »Scheiße, stell das ab!«, fauchte ich und drehte selbst am Knopf, als Puustjärvi nicht sofort reagierte.
    »Alle haben mir gesagt, du magst Popeda«, verteidigte er sich.
    »Aber diesen Song nicht.«
    Als wir den Hafen erreichten, wurde mir klar, dass ich es nicht über mich brachte, mit Mikke auf die »Leanda« zu gehen.
    Mochte Puustjärvi ihn begleiten. Ich blieb im Auto sitzen und schaute nicht zum Bootssteg hin, daher sah ich nicht, was geschah. Erst als ich ein lautes Platschen hörte, wurde ich aufmerksam. Puustjärvi lag im Wasser und ruderte mit den Armen. Ich sprintete zum Steg, doch Mikke hatte das mit Maschinendraht bespannte Tor bereits hinter sich versperrt. Der Zaun war zwei Meter hoch und kleinmaschig bespannt, es war mühsam, in breiten Stiefeln mit hohen Absätzen hinüberzuklet-tern. Ich sah, wie Mikke das Vorderseil kappte, hörte Puustjärvi prustend an Land klettern, zog mich am Zaun hoch und überlegte eine Weile, ob ich es wagen sollte, auf der anderen Seite hinunterzuspringen.
    »Mikke, mach keinen Quatsch! Wir kriegen dich!«, versuchte ich den aufheulenden Motor zu übertönen. Ich tastete nach meiner Tasche. Die Dienstwaffe hatte ich nicht eingesteckt, sie hätte mir in dieser Situation auch nichts genützt, aber das Handy hatte ich dabei. Ich alarmierte Küstenwache und Wasserpolizei und bat darum, dass eines der Boote mich in Suomenoja abholte.
    »Lohnt es sich denn überhaupt, die gesamte Alarmbereitschaft hinter einem Selbstmordkandidaten herzuschicken?«, brummte der Diensthabende.
    »Verdammt nochmal, du tust genau, was ich dir sage!«, brüllte ich hoch oben auf dem Zaun, zufrieden, dass ich die Befugnis hatte, die Maschinerie in Gang zu setzen. Mikke musste lebend gefasst werden. »Sag der Küstenwache, sie sollen auch Hubschrauber ausschicken!«
    Puustjärvi hatte es mittlerweile geschafft, sich aus dem Wasser zu ziehen. Als ich ungelenk vom Zaun kletterte, schälte er sich gerade aus den nassen Kleidern und schnaubte:
    »Ich hab nicht damit gerechnet, dass er gefährlich wird. Er hat so getan, als ob er

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