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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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der Mann ist aus dem Nebel frontal auf ihn zugerast. Juha ist ja noch ins Meer gesprungen und hat versucht, ihn zu retten. Beinahe wäre er selbst ertrunken.«
    Trotz allem nahm ich mir vor, Aaro Koponens Umkreis unter die Lupe zu nehmen. Ein Racheakt war nicht mit Sicherheit auszuschließen.
    Paula Saarnios Büro lag zwischen Juha Merivaaras Chefzimmer und dem Vestibül. Als ich an die Glastür klopfte, sah ich, dass sie am Handy sprach und gleichzeitig etwas in den Computer tippte. Trotzdem schaffte sie es, mich hereinzuwinken. Ich betrat das Büro und ging gleich weiter in das Chefzimmer, wo Kollege Kantelinen damit beschäftigt war, Dateien von der Festplatte auf Disketten zu kopieren. Mehr als die Finanzen des Unternehmens interessierte mich allerdings Juhas persönlicher Besitz.
    Als Erstes öffnete ich den Kleiderschrank neben der Tür. Auf einem Bügel hing eine dunkelbraune Anzugjacke aus Wollstoff, daneben, sorgfältig über einen Hosenbügel gelegt, die dazugehö-
    rige Hose. Auf zwei weiteren Bügeln hingen Oberhemden, ein weißes und ein hellgelbes, beide ordentlich gebügelt. Drei Krawatten, eine braun gemusterte, eine blaugelb geblümte und eine weißblaue mit Ankern, waren über den Krawattenhalter gehängt. Außerdem enthielt der Schrank dunkelbraune Schuhe mit Broquemuster und einen Tennisschläger. Im Regalfach lagen zwei Boxershorts aus dunkelblauer Seide, ein weißes Tennishemd, zwei Paar dunkelbraune Strümpfe und ein Paar Tennissocken, außerdem ein Stützverband, wie man ihn verwendet, wenn man an einem Tennisarm leidet. Auf dem untersten Brett standen Tennisschuhe, das neueste Modell von Adidas.
    Ich fasste in die Anzugtaschen. In der linken Seitentasche fand ich eine Zehnpennimünze. Die Brusttasche war leer, auch in den Hosentaschen und den Tennisshorts fand ich nichts.
    Im nächsten Schrank standen ausschließlich Aktenordner. Der Beschriftung nach enthielten sie die Korrespondenz sowie Aufzeichnungen über die Produktentwicklung.
    »Die geh ich gleich durch«, sagte Kantelinen.
    »Hast du schon was gefunden?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich verschaffe mir nur einen Über-blick, auf dem Präsidium sehe ich mir die Unterlagen dann genauer an. Was suchst du eigentlich?«
    »Ein Motiv«, seufzte ich. Von Juha Merivaaras Schreibtisch lächelte mir seine Familie entgegen. Das Bild war an Deck eines Segelboots aufgenommen worden, offenbar vor einigen Jahren, denn sowohl Riikka wie Jiri trugen die Haare lang, und Jiri wirkte noch kindlich. Ich zog die oberste Schublade auf. Die Stifte konnten darin liegen bleiben, doch den prallen Time Manager nahm ich heraus, er sollte mit aufs Präsidium.
    In den nächsten Schubladen lagen nur Papiere, PR-Material der Firma, Jahresberichte und dergleichen. In der untersten Schublade fand ich Broschüren des Vereins Tapiola-Tennis, eines neuen Sportzentrums und einer Bootsausstellung. Unter dem Schreibtisch standen zwei Papierkörbe, der eine für Recyclingpapier, der andere für sonstige Abfälle. Der eine war leer, im anderen lag ein zerbrochener Plastikkamm.
    An der Wand hingen zwei gerahmte Schwarzweißfotos. Der Herr auf dem einen Bild trug einen buschigen Schnurrbart und eine Brille, auf dem Rahmen stand »Mikael Merivaara, 1874-1947«. Das schmale Gesicht und der vorstehende Adamsapfel des anderen Mannes kamen mir bekannt vor. Das Namensschild auf dem Rahmen bestätigte mir, dass es sich um Mikkes und Juhas Vater handelte: »Martti Merivaara, 1919-1982«.
    Ich erinnerte mich an Katrina Sjöbergs ausführlichen Bericht über die Familiengeschichte. Der Vater und die Brüder von Mikael Merivaara waren als Kapitäne zur See gefahren, er selbst war von den Ålandinseln nach Helsinki gegangen, um Ingenieur zu werden. Dort verliebte er sich in die Tochter eines glühenden Nationalisten, nahm einen finnischen Namen an und gründete mit dem Erbe seines Schwiegervaters die Merivaara AG, die Reedereibedarf produzierte. Martti Merivaara war Mikaels einziger Nachkomme. Er erbte das Unternehmen, war jedoch kein guter Geschäftsmann. Bereits zwei Jahre nach dem Tod seines Vaters hatte er die Hälfte der Aktien verkaufen müssen.
    Der Käufer war ein gewisser Gustav Enckell, dessen Tochter Fredrika etwa zehn Jahre jünger war als Martti. Als Enckell kurz nach der Transaktion starb, kam Martti auf den Gedanken, die Erbin zur Frau zu nehmen, um die Firma wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Martti und Fredrika heirateten 1950, ein Jahr später wurde Juha geboren. Er

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