Der Wind über den Klippen
schnellen Reichtum. Bald darauf war diese Traumwelt allerdings zusammengebrochen, und die Aktien, die die Studenten von den Geldgeschenken zum Abitur gekauft hatten, waren in der Rezession wertlos geworden.
Halonens Anzug saß nicht ganz so perfekt und der Stoff war nicht ganz so hochwertig, wie es dem Image eines erfolgreichen jungen Mannes entsprochen hätte, aber das dunkelblonde Haar war so perfekt geschnitten, dass es die beginnende Glatze kaschierte, und sein Körper wirkte durchtrainierter, als es der seines Chefs gewesen war.
Er gab nur ungern zu, wie wenig er über die Mare Nostrum wusste. Der Aktienhandel war zwei Jahre vor seinem Eintritt in die Firma abgeschlossen worden, und Juha Merivaara hatte sogar seinem Finanzdirektor jede Auskunft über die Aktionäre verweigert. Andererseits hatte Halonen sich auch nicht weiter darum gekümmert, denn die Aktionäre waren auf keiner Hauptversammlung störend in Erscheinung getreten und hatten nie Forderungen gestellt.
»Juha hat mir gesagt, der Kaufbrief läge im Banksafe. Daraus geht ja hervor, wer für die Mare Nostrum unterschrieben hat«, sagte Halonen und lockerte die Krawatte. Er wusste, dass er in Schwierigkeiten war. »Den Schlüssel hat Anne, nehme ich an.«
»Ihr beiden fahrt mit zur Bank, und du, Koivu, suchst dir im Wirtschaftsdezernat jemanden, der Kontakt zu den Kollegen von Scotland Yard hat. Wir können nicht warten, bis Herr Kantelinen sich wieder an seinen Arbeitsplatz bequemt. Sagt mir sofort Bescheid, wenn ihr etwas herausgefunden habt.«
Voller Unruhe fuhr ich zurück zum Präsidium. Es kam mir vor, als versuchte ich, mit bloßen Händen eine schleimige Aalraupe zu fangen. Zerstreut holte ich mir die Angaben über das Bootsunglück vor sechs Jahren auf mein Terminal. Das Opfer Aaro Koponen hatte keine Vorstrafen. Ich loggte mich ins Melderegister ein und rief die Daten auf. Koponen, Aaro Juhani, geboren 15.6.1947. Geschieden 1989, ein Sohn, Ari Juhani, geboren am 23.4.1972.
Hatte der Sohn Juha Merivaara für den Tod seines Vaters verantwortlich gemacht? Laut Melderegister wohnte er in Turku. Dann stach mir der Name von Koponens Exfrau in die Augen: Saarela, Elvi Seija Johanna.
Der Vorname Elvi machte mich unsicher, doch als ich mir die Personenkennziffer noch einmal ansah, wusste ich, dass ich auf eine heiße Spur gestoßen war: Seija Saarela war die Frau des tödlich verunglückten Aaro Koponen gewesen.
Ich zog die Jacke über und lief die Treppe zur Garage hinunter. Seija Saarela hatte gesagt, sie arbeite heute den ganzen Tag im Reformhaus ihrer Freundin im Einkaufszentrum »Lippulaiva«. Als ich dort die korkenzieherförmige Rampe zur Tiefgarage hinunterfuhr, kam ich mir vor wie auf der Rennstrecke eines Vergnügungsparks. Tatsächlich wirkte das Einkaufszentrum wie ein riesiger Vergnügungspark mit Restaurants, Spielautomaten und Kinderspielecken, nur vergnügte man sich hier nicht mit Achterbahnfahrten, sondern mit Geldausgeben. Der heftige Regen hatte sowohl gelangweilte Schüler als auch plaudernde Rentner in die überdachten Ladenpassagen getrieben. Das Reformhaus befand sich im ersten Stock neben einem Sportge-schäft. Eigentlich brauchte ich neue Joggingschuhe. Ich warf im Vorbeigehen einen Blick auf die Herbstmodelle, probierte sie jedoch nicht an, obwohl die stoßdämpfenden Luftkissenschuhe für siebenhundert Finnmark verlockend aussahen. Ob Antti sie mir wohl zum dritten Hochzeitstag spendieren würde?
Das Reformhaus »Wassermann« bot alles Mögliche an, von diversen Nährstofftabletten bis zu Biogemüse, Ökomehl und Kräuterkosmetik. An einer Wand stand ein Regal mit esoteri-scher Literatur: Astrologie, Tarot, Meditation. Eine etwa vierzigjährige Frau blätterte in einem dicken Opus, das dazu riet, mittels Numerologie den Sinn des Lebens zu finden. Seija Saarelas Schmuck war auf einem Regal neben dem Verkaufs-tisch ausgestellt, auf dem Tisch selbst stand eine große, kunstvoll arrangierte Schale mit Halbedelsteinen. Ich erkannte Rosenquarz, Amethyst und gewöhnlichen Quarz.
»Guten Tag, Frau Kommissarin«, sagte Seija Saarela und blickte von einem silbernen Ohrring mit kleinen Türkisen auf, an dem sie gerade einen Haken befestigte.
»Können wir uns hier unterhalten?«, fragte ich mit Blick auf die Kundin.
»Es geht doch nicht um Geheimnisse«, sagte sie munter.
Bildete sie sich wirklich ein, ihre Verbindung zu Juha Merivaara würde der Polizei verborgen bleiben? Ich trat an den Verkaufs-tisch. Die Steine
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