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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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schimmerten im Licht wie ein Piratenschatz aus dem Märchenbuch. An der Tischecke stand eine halbmeter-lange Truhe mit kleinen Schmucksteinen, die für zehn Mark pro Stück angeboten wurden. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Hand hineinzutauchen.
    »Nehmen Sie einen heraus, ganz blindlings, schauen Sie, was Ihre Hand für Sie auswählt«, forderte Seija mich auf.
    Auf dieses Spiel wollte ich mich nicht einlassen. Ich zog die Hand zurück.
    »Sie wollten mir etwas über Harri Immonen erzählen.«
    Ihre kurzen, runden Finger schoben den Haken an seinen Platz, dann drückte sie mit einer winzigen Zange die Öse zu.
    »Ich fand Harris Tod von Anfang an merkwürdig. Dass er Selbstmord begangen hätte, wie Juha andeutete, habe ich nie geglaubt. Die Polizei ist ja dann zu dem Ergebnis gekommen, es sei ein Unfall gewesen. Ich war damals schon sicher, dass auf der Insel negative Energien wirken, nach den blutigen Schlachten, die dort ausgetragen wurden! Auf Rödskär gehen die Geister all dieser ruhelosen Toten um.«
    »Hat das irgendetwas mit Harri zu tun?«, fragte ich abweisend, denn in der Gesellschaft von Menschen, die an übernatürliche Erscheinungen glaubten, fühlte ich mich unbehaglich. Falls es solche Kräfte wirklich gab, wollte ich nichts mit ihnen zu tun haben.
    »Ja, oder eigentlich eher mit den toten Eiderenten und Muscheln.«
    »Was für tote Muscheln?«
    »Harri ist doch Anfang Oktober gestorben. Ein paar Wochen vorher, Mitte September, hat Mikke mich auf Rödskär abgesetzt.
    Er wollte ein Stück allein segeln, um das neue Ruder der
    ›Leanda‹ zu testen. Es war schönes Wetter vorhergesagt, und ich wusste, dass die Merivaaras mitten in der Woche nicht auf der Insel sein würden. Mit Harris Anwesenheit hatte ich nicht gerechnet, aber wir haben uns nicht aneinander gestört, jeder ist seiner eigenen Beschäftigung nachgegangen. Am zweiten Abend haben wir zusammen Tee getrunken. Plötzlich erschrak ich fürchterlich, denn in der Küchenecke lag eine tote Eiderente.
    Ich habe mit Harri geschimpft, weil er sie ins Haus gebracht hatte, sie konnte ja alle möglichen Krankheitskeime verbreiten.«
    Die Frau, die in dem Numerologiebuch geblättert hatte, trat auf Seija zu und meinte, sie finde das Buch wahnsinnig interessant.
    »Das macht zweihundertzweiunddreißig Mark«, sagte Seija, woraufhin die Frau, ohne mit der Wimper zu zucken, zwei Hunderter und einen Fünfziger hinblätterte.
    »Ganz schön teuer«, bemerkte ich, als die Kundin gegangen war.
    »Nicht wahr? Die Leute sind eben bereit, viel Geld auszugeben, um den inneren Frieden zu finden oder den inneren Helden, je nachdem, was gerade aktuell ist. Ich selbst glaube nicht an Numerologie, aber bei manchen funktioniert sie offenbar. Bei mir wirken eher die Steine, damit kuriere ich mich.
    Was wäre wohl der passende Stein für Sie? Welches Sternzeichen sind Sie?«
    »Warum hatte Harri die tote Eiderente ins Haus gebracht?«, unterbrach ich sie.
    »Er meinte, er hätte in der Umgebung von Rödskär ungewöhnlich viele verendete Exemplare gefunden, sowohl Eiderenten als auch Miesmuscheln, von denen sich die Enten hauptsächlich ernähren. Er wollte den Kadaver aufs Festland bringen und untersuchen lassen.«
    »Warum? Hatte er den Verdacht, die Vögel wären vergiftet worden?«
    »Das hat er nicht gesagt, er schien mir nicht zu vertrauen. Da später von der Sache nicht mehr die Rede war, habe ich den ganzen Vorfall vergessen und erst wieder daran gedacht, als Mikke sagte, Sie hätten den Verdacht geäußert, dass auch Harri ermordet wurde.«
    In dem Moment drängte eine Schar junger Mädchen herein, die die Steine bewunderten und die Naturkosmetik testeten. Das schien mir der geeignete Augenblick für einen Themenwechsel.
    »Haben Sie sich immer schon Seija genannt, oder haben Sie früher Elvi geheißen? Elvi Koponen?«
    Sie legte die Zange aus der Hand, als wäre sie plötzlich glü-
    hend heiß geworden.
    »Wieso? Elvi habe ich mich nie genannt, den Namen habe ich schon als kleines Mädchen gehasst.«
    »Warum haben Sie uns verschwiegen, dass Ihr geschiedener Mann bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen ist, an dem Juha Merivaara beteiligt war?«
    »Weil ich keinen Grund sah, es zu erwähnen.« Sie nahm die Zange auf und begann einen Haken an einem winzigen Amethyst zu befestigen. »Aaro und ich hatten uns schon fünf Jahre vorher getrennt. Aaro war Alkoholiker, und Juha trug an dem Unfall keine Schuld.«
    »Betrunken war er aber

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