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Der Windsänger

Titel: Der Windsänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Nicholson
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dich bitten.« 
    »Ich will keine zweite Chance. Ich hasse sie.« 
    »Aber ich könnte es nicht ertragen, wenn sie dich…« Er hielt inne und zuckte mit den Achseln. »Ich würde alles für dich tun, Liebling. Ich würde für dich sterben. Aber meine wahre Prüfung besteht anscheinend darin, zu wissen, dass ich nichts tun kann.« 
    Er verstummte und starrte auf die Karte. Dann drang Dr. Minishs mürrische Stimme vom Fuß der Treppe herauf. 
    »Beeilen Sie sich mal ein bisschen! Wir warten!« 
    »Der Kaiser hat gesagt, wenn ich die Stimme zurückbringe und der Windsänger wieder singt, gibt es keine Prüfungen mehr.« 
    »Oh, wirklich?« Für einen Moment verschwand die Traurigkeit aus seinen Augen. »Aber du kannst nicht gehen, Liebling, du bist doch noch ein Kind. Außerdem würden sie dich gar nicht aus der Stadt lassen. Sie suchen überall nach dir. Nein, diese Sache muss warten, bis ich wieder zu Hause bin.« 
    Unten im Wohnzimmer wurden die wartenden Lehrer mit jeder Minute ungeduldiger und durstiger. Endlich kehrte Mrs. Hath aus der Küche zurück. Sie hielt Pinpin noch immer auf dem Arm, die nun fest schlief. Dr. Batch, der sehnlich auf seine Limonade wartete, musterte sie scharf. Dr. Minish runzelte die Stirn und schaute wieder auf die Uhr. 
    »Sie sprachen vorhin von Limonade«, sagte Dr. Batch. 
    »Limonade?«, fragte Mrs. Hath. 
    »Sie haben uns etwas zu trinken angeboten«, erklärte Dr. Batch etwas barscher. 
    »Tatsächlich?« Ira Hath klang überrascht. 
    »Ja, Madam. Sie haben uns gefragt, ob wir Limonade mögen.« 
    »Ja. Ich erinnere mich.« 
    »Und wir haben das positiv beantwortet.« 
    »Ja. Daran erinnere ich mich auch.« 
    »Aber Sie haben uns keine gebracht.« 
    »Wieso gebracht, Dr. Batch? Ich verstehe nicht.« 
    »Sie haben uns gefragt, ob wir Limonade mögen«, erklärte der Lehrer langsam, als spräche er mit einer besonders dummen Schülerin, »und wir haben Ja gesagt. Jetzt müssen Sie uns welche holen.« 
    »Warum?« 
    »Weil – weil – weil wir welche möchten.« 
    »Aber Dr. Batch, das muss ein Missverständnis sein. Ich habe gar keine Limonade.« 
    »Keine Limonade? Madam, Sie haben uns Limonade angeboten. Warum streiten Sie das jetzt ab?« 
    »Warum sollte ich Ihnen Limonade anbieten, wenn ich keine im Haus habe? Nein, Sir. Ich habe Sie gefragt, ob Sie Limonade mögen. Das ist etwas völlig anderes.« 
    »Gütiger Himmel! Wieso fragen Sie jemanden, ob er etwas mag, wenn sie es ihm nicht geben wollen?« 
    »Ich finde das äußerst merkwürdig, Dr. Batch. Soll ich Ihnen vielleicht alles geben, von dem Sie sagen, dass Sie es mögen? Sicher mögen Sie lange Sommerabende. Aber Sie erwarten doch hoffentlich nicht von mir, dass ich Ihnen einen bringe.« 
    Dr. Minish stand auf. »Rufen Sie die Konstabler«, sagte er. »Mir reicht’s jetzt.« 
    Dr. Batch erhob sich ebenfalls. »Wir werden Ihre Tochter finden und Maßnahmen ergreifen. Da können Sie sicher sein.« 
    Dr. Minish rief die Treppe hinauf: »Kommen Sie jetzt endlich, Sir? Oder müssen wir Sie holen?« 
    Die Badezimmertür ging auf und Hanno kam heraus. Während er noch die Treppe hinunterstieg, öffnete Dr. Batch schon die Haustür. 
    »Mr. Hath verlässt jetzt das Haus«, informierte er die Konstabler. 
    Die Menschenmenge draußen drängte sich heran. Im Wohnzimmer verabschiedete sich Hanno Hath von seiner Familie. Er küsste die kleine Pinpin, die noch immer auf Mrs. Haths Arm schlief. Dann küsste er seine Frau, die die Tränen trotz heftigen Widerstands nicht zurückhalten konnte. Schließlich küsste er Bowman, dem er dabei ins Ohr flüsterte: »Pass du für mich auf Kess auf.« 
    Schwungvoll nahm er den Koffer in die Hand und ging zur Tür hinaus. Die Konstabler marschierten links und rechts von ihm und die beiden scharlachrot gekleideten Lehrer stapften hinterdrein. Die Menge blieb zurück und beobachtete schweigend die kleine Prozession. Die Familie trat vor die Haustür und blickte Hanno nach. Sie winkten ihm mit erhobenen Häuptern zu, ganz so, als würde er nur zu einer Urlaubsreise aufbrechen. Doch die Zuschauer schüttelten die Köpfe und murmelten »Armer Kerl« und dass es doch eine Schande sei. 
    Als die Prozession die Straßenecke erreichte, blieb Hanno einen Augenblick lang stehen und schaute zurück. Er winkte ein letztes Mal – schwenkte den Arm hoch über dem Kopf – und lächelte. Bowman vergaß dieses Winken und dieses Lächeln niemals, denn als er ihm so von der Haustür

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