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Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Der Winter tut den Fischen gut (German Edition)

Titel: Der Winter tut den Fischen gut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Weidenholzer
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selten. Herrn Willerts Büro ist ein kleiner Raum mit zwei Fenstern, auf dem linken Fensterbrett ein Usambaraveilchen, auf dem rechten die Schneckenhaussammlung. Jedes Mal, wenn sie das Büro betritt, überlegt Maria, wie Herr Willert lüften kann, wenn auf dem einen Fensterbrett ein Usambaraveilchen steht und das andere mit Schneckenhäusern vollgeräumt ist. Vielleicht hebt er das Usambaraveilchen weg, denkt sie dann, vielleicht macht er das, er hebt es weg und stellt es auf den Schreibtisch, hoffentlich nicht auf den Boden, im Winter wäre es zu nahe an der Heizung. Das Usambaraveilchen blüht lila, es steht schon Jahre auf dem Fensterbrett, Maria weiß nicht, ob es jemals ausgetauscht wurde. Zwischen den beiden Fenstern steht der Schreibtisch, ein alter Tisch aus Eichenholz, hinter dem Herr Willert eigenartig klein aussieht, vor allem wenn er über der Buchhaltung sitzt und seinen Kopf auf die Arme stützt. Maria, was würde ich ohne Sie machen, sagt Herr Willert an manchen Tagen, und Maria weiß, dass Herr Willert auch sie meint, wenn er sagt, unsere Boutique läuft gut.
    Wie geht es Ihnen, fragt Herr Willert, als Maria ihn bei der Kaffeemaschine findet, und Maria wundert sich, weil Herr Willert nie fragt, wie es ihr geht. In der rechten Hand hält er eine Tasse, mit der linken öffnet er die Laden. Gut, sagt Maria, es geht mir gut, suchen Sie etwas. Ja, sagt Herr Willert, Süßstoff. Wer hat den leeren Süßstoffspender hierher gestellt, fragt er. Maria sagt, ich weiß es nicht, ich nehme keinen Süßstoff, sie denkt: Niemand außer Ihnen verwendet Süßstoff. Es ist noch Zucker da, sagt Maria. Ja, sagt Herr Willert, aber Sie wissen doch. Ja, ich weiß, sagt Maria, aber es bleibt unter uns. Auf Herrn Willerts Hemd hat ein Kaffeetropfen einen Fleck hinterlassen, Maria überlegt kurz, wie sie sich richtig verhalten soll, sie sagt, oje, und zeigt auf Herrn Willerts Bauch. Was, fragt Herr Willert. Auf Ihrem Hemd, sagt Maria. Nein, sagt Herr Willert. Maria sagt: Flecken sind doch etwas Schönes. Wenn das Leben Flecken hinterlässt, bleibt Ihnen die Erinnerung. Woher haben Sie das, fragt Herr Willert. Ich weiß es nicht, antwortet Maria. Das ist Unsinn, sagt Herr Willert und lacht, ein Hemd darf niemals fleckig sein, auch die Hände nicht. Maria lächelt, sie sagt: Draußen wartet eine Kundin auf Sie, sie hat eine Frage.
    Martha legt die Pullover zusammen, die sie zuvor einer Kundin gezeigt hat, als Maria mit Herrn Willert den Verkaufsraum betritt. Dort, sagt Maria, und Herr Willert setzt ein Lächeln auf. Martha trägt die Haare zu einem Zopf gebunden. Nur wenn Martha von der Friseurin kommt, trägt sie die Haare offen. Sie sagt: Ich habe keine Haare, ich habe Federn, sieh dir das an, was soll ich machen. Und morgen wird das Wetter schlecht, ich brauche meine Haare nicht zu waschen, wenn es regnet. Wie du meinst, sagt Maria dann. Niemand weiß besser über das Wetter Bescheid als Martha. Martha verfolgt die Wetternachrichten, sie weiß, mit welcher Wahrscheinlichkeit es regnen wird. Martha fürchtet den Regen, außer im Sommer während langer Trockenperioden, dann sagt sie: Wann kommt der Regen, die Blumen verdursten, den Bauern wird die Ernte kaputt. Gegen Monatsende liest Martha die Zeitung besonders aufmerksam, denn gegen Monatsende wird in der Zeitung das Wetter des vergangenen Monats bewertet. Martha schneidet die Statistiken aus, im Winter sind sie auf Bilder von Schneelandschaften mit lachenden Kindern gedruckt, im Sommer auf Bilder lachender Kinder oder Mädchen in Bikinis in der Nähe von Wasser. Martha sammelt die Statistiken. Wenn schlechtes Wetter kommt, warnt sie rechtzeitig, sie sagt, das Sturmtief Joachim nähert sich, sie haben orkanartigen Sturm gemeldet, du solltest am Abend zu Hause bleiben. Eine kalte Nordwestströmung, deshalb frierst du so. Über Neufundland und Grönland ist es derzeit extrem kalt, über dem mittleren Atlantik bis zu fünfzehn Grad warm, stell dir vor. Martha lernt die Wetterberichte auswendig, denkt Maria, wenn Martha untertags im Geschäft Sätze sagt, die Maria abends in der Zeitung liest. Die Zeitung liest sie immer abends, weil sie morgens zu müde ist. Morgens steht Maria auf, langsam, sie rollt sich zur Seite, sie schiebt die Beine aus dem Bett, sie richtet sich auf. Sie isst ein Butterbrot, während sie sich anzieht, sie trinkt Kaffee, während sie sich schminkt. Dann muss sie los, pünktlich sein.
    Während Herr Willert mit der Kundin spricht, schaut er nicht auf

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