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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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zerfurcht vor Erschöpfung. Iwan Schuwalow neben ihr, angetan mit einer silbern schimmernden Weste, trug stumme Fassungslosigkeit zur Schau. Eine Zofe, die eine Platte mit Häppchen brachte, wurde weggescheucht.
    Der Hofchirurg trug sein Gutachten vor. Sichtlich nervös machte er die schädlichen Dünste, die von Sümpfen und Flussufern aufstiegen, für das Unglück verantwortlich und die ganze dem Menschen zutiefst feindliche Natur eines Landstrichs, der letztlich unbewohnbar sei. Die Kälte, der Mangel an Licht, die so viele Monate hindurch herrschten, verursachten Fehlgeburten und Missbildungen, erklärte er, das habe die Erfahrung gelehrt.
    »Ich muss es so deutlich aussprechen, Majestät«, sagte er, »ich kann nicht länger schweigen.«
    Die Kaiserin musterte ihn verächtlich. Der Fächer in ihrer Hand zuckte.
    »Die Stadt, die mein Vater erbaut hat«, sagte sie mit schneidender Stimme, »tötet keine ungeborenen Kinder. Wenn Kinder im Mutterleib sterben, so an den Gedanken und Ängsten ihrer Mütter.«
    Der Arzt versuchte etwas zu entgegnen, aber die Kaiserin hörte ihm nicht mehr zu. »Er kann seine Sachen packen«, hörte ich jemanden flüstern.
    Iwan Schuwalow wandte sich an Elisabeth. »Die Sümpfe? Mangel an Licht?«, fragte er abfällig.
    Ich wünschte inständig, ich könnte ihn zum Schweigen bringen, seine boshaften, arroganten Worte vertilgen wie Ungeziefer.
    »Das ist es wohl, was sie dazu sagt? Ist das ihre Sicht der Dinge?«, fuhr Schuwalow fort, als hätte er Katharinas Namen vergessen. »Würde mich nicht wundern.«
    Ich huschte hinaus, ich zitterte am ganzen Leib. Dann fiel mir etwas ein. Ich schlich ins kaiserliche Schlafzimmer und schob das Blatt mit der obszönen Karikatur, das der Kanzler mir gegeben hatte, unter die Bettdecke.
    Am Abend würde die Kaiserin es finden. Ich stellte mir Iwan Schuwalow vor, wie er aufgeregt stammelnd, ganz aufgelöst vor Verlegenheit und Angst, seine Unschuld beteuerte und schwor, dass er niemals irgendwelche Schauspielerinnen auch nur angeschaut habe.
    Soll er einmal kosten, wie seine eigene Medizin schmeckt , dachte ich.
    Ganz klein wird er werden, wenn Elisabeths Zorn über ihn hereinbricht.
     
    Als ich einige Stunden später, zu meiner üblichen Zeit, ins Vorzimmer des kaiserlichen Schlafgemachs kam, herrschte dort aufgeregte Betriebsamkeit: Zofen kamen und gingen, trugen heißes Wasser, Handtücher, Fläschchen mit Riechsalz hinein. Ein widerlicher Gestank wehte durch das offene Fenster herein.
    Man hatte Graf Lestocq gerufen, damit er die Kaiserin zur Ader ließ, erfuhr ich von einer Zofe, die mit einem Stapel Handtücher vorbeikam und ganz beglückt darüber war, dass sie jemanden gefunden hatte, dem sie die aufwühlenden Neuigkeiten mitteilen konnte.
    Vier Unzen Blut.
    Ganz schwarz und dickflüssig.
    Ihre Majestät war jetzt ruhiger, Gott sei Dank.
    Der Sturm war vorüber.
    So sind die Männer , hörte ich die Zofen tuscheln. Es wird schon was dran sein. Kein Rauch ohne Feuer.
    Aus dem Schlafzimmer war eine flehende Stimme zu hören, ein Schluchzen.
    »Ihre Majestät ist jetzt für niemanden zu sprechen«, sagte die Zofe. »Sie hat Iwan Iwanowitsch eben erlaubt, wieder zu ihr zu kommen.«
     
    Monsieur Bernardi hatte keinen Brief für mich. Die Großfürstin, berichtete er, sei noch sehr geschwächt und müsse sich schonen; man habe ihr Schreibzeug und Bücher weggenommen. Man könne jetzt nur um eine schnelle Genesung beten. Sie sei noch jung, sie sei immer gesund gewesen, vielleicht habe sie keinen so ernsten Schaden erlitten, wie manche glaubten.
    Ihre Freunde sehen jetzt viele Möglichkeiten, wo es vorher nur wenige gab , schrieb ich vage. Bessere Möglichkeiten als zuvor. Ich hätte mich gerne deutlicher ausgedrückt, aber das wäre zu gefährlich gewesen.
    Ich konnte nur hoffen, dass sie erriet, was ich meinte.
    Sie hatte jetzt die Chance, mit einem Kind schwanger zu werden, dessen Legitimität nicht angezweifelt werden würde. Das sie für das bittere Leid entschädigte, das sie erfahren hatte. Es konnte alles wieder gut werden.
    Ich tat gut daran, ihr nichts davon zu sagen, dass ihr Liebhaber nichts als Gleichgültigkeit für sie empfand, redete ich mir ein.
Möglicherweise würde Sergej Saltykow schon bald wieder zu ihr geschickt werden, um noch einen Versuch zu unternehmen. Dann war es besser, wenn sie ihn mit offenen Armen empfing.
     
    Ein ganzer Monat verging, und Sergej Saltykow war immer noch in Sankt Petersburg, vertrieb sich die Zeit am

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