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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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vergessen hatten, nützlich sein zu können, von der Pracht des neuen Palasts, der bald gebaut werden sollte, von den Entwürfen, die ich gesehen hatte und die mich mit freudiger Erwartung erfüllten, und dabei verfluchte ich die ganze Zeit Madame Tschoglokowa, die stirnrunzelnd, die Hände im Schoß, bei uns saß wie festgewurzelt. Wieso konnte sie uns nicht eine Weile allein lassen?
    Die Gärtner gossen jetzt die Orangenbäume, die in gewaltigen Töpfen auf der Terrasse des Schlosses standen. Madame Tschoglokowa lehnte sich in ihrem Korbsessel zurück, den Unterkiefer grimmig vorgereckt wie eine Bulldogge, ihr Busen drohte über die spitzenbesetzten Ufer ihres tief ausgeschnittenen Kleids zu treten. Sie war entschlossen, ihre Stellung zu halten und keinen Schritt von unserer Seite zu weichen. In wessen Dienst stand sie? Der Kanzler hatte angedeutet, dass sie bereitwillig das Ihre getan hat
te, damit Saltykow möglichst oft mit der Großfürstin allein sein konnte. Aber ich hatte den Verdacht, dass sie sich auch von den Schuwalows bestechen ließ.
    »Vielleicht könnten wir noch etwas heiße Schokolade haben?«, fragte ich.
    Madame Tschoglokowa beugte sich vor und griff nach einem Glöckchen, das unter dem Tischchen lag. Sie läutete, dann wandte sie sich befriedigt wieder ihrer Stickarbeit zu. Ich beobachtete, wie ihre Wurstfinger die Nadel führten. Sie stickte eine Blume mit einer rosa Blüte.
    Ein Mädchen brachte Schokolade und Blaubeertörtchen. Während sie mit dem Geschirr hantierte und Madame Tschoglokowa abgelenkt war, nutzte ich die Gelegenheit, Katharinas Hand zu berühren, eine stumme Versicherung, dass sie jetzt nicht mehr alleine war und dass ich im Winterpalast auf sie warten würde.
    Einen Moment lang verzogen sich ihre Lippen zu einem gequälten Lächeln. Sie sah aus wie Darja, wenn sie dabei war, in Tränen auszubrechen.
    »Die Kaiserin ist gerade von der Fasanenjagd zurückgekehrt und will jetzt eine Maskerade in Peterhof veranstalten«, sagte ich im Plauderton. »Es soll ein großartiges Feuerwerk stattfinden. Der ganze Hof hofft, dass die Genesung Ihrer Hoheit so weit fortgeschritten ist, dass Sie daran teilnehmen können. Kanzler Bestuschew meinte, so ein Fest stärkt den Zusammenhalt – wir wollen doch alle nur das Beste für Russland. Und Graf Schuwalow ist auch dieser Ansicht.«
    Obwohl Iwan ständig an Elisabeths Seite war, hatten die Schuwalows keineswegs alles erreicht, was sie sich erhofft hatten. Auch sie hatten die Erfahrung machen müssen, dass Elisabeth immer neu umworben werden wollte. Iwan bekam seine russische Akademie und sein Theater, er durfte sich von Dichtern und Gelehrten feiern lassen, aber mit der Führung der Staatsgeschäfte betraute Elisabeth immer noch Bestuschew. Die Kaiserin hatte so genau das, was sie wollte: zwei gleich starke Parteien, die immer darum
bemüht sein mussten, das prekäre Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten, beide in ungesicherter Position und ganz von ihrer Huld und Gnade abhängig.
    Die Erwähnung des Kanzlers und seines Widersachers schreckte Madame Tschoglokowa auf: Politik war ein gefährliches Thema. Wild entschlossen, das Gespräch in ein ruhigeres Fahrwasser zu steuern, bemerkte sie, das Leben in Oranienbaum sei längst nicht so eintönig provinziell wie manche Leute am Hof glaubten, und erging sich dann in einem jener langatmigen Monologe, für die sie bekannt war. Ich trank von der süßen Schokolade und warf Katharina einen verstohlenen Blick zu, aus dem meine Erbitterung sprach. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln spielte um ihre Lippen.
    »Ich lese viel, Warwara Nikolajewna«, sagte sie. Madame Tschoglokowa verstummte. Katharinas Augen glitzerten – es war jenes kühn entschlossene Glitzern, das ich später noch so oft sehen sollte. An diesem Nachmittag fand ich, dass es ein gutes Zeichen war. »Lauter wahre Geschichten. Ich will meine Zeit nicht mit unnützen Dingen verschwenden.«
    Sie beschäftigte sich jetzt viel mit der russischen Geschichte, »mit dem Stoff, der unser Reich groß gemacht hat«.
    Madame Tschoglokowa zuckte zusammen; sie spürte, dass die Unterhaltung die seichten Gewässer verließ, in denen sie sich wohl fühlte. Ich empfand keinerlei Mitgefühl mit ihr.
    »Ein Reich, das sich die Kräfte vieler Nationen zunutze zu machen versteht, kann niemals besiegt werden«, fuhr Katharina fort. »Sind Sie nicht auch dieser Meinung, Warwara Nikolajewna?«
    »Aber ja, Hoheit. Und ohne Zweifel würden dem auch unsere Kaiserin

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