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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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wurden unter meinen Fingern weich und formbar wie warmes Wachs. Ich durfte nur niemals vergessen, wie dünn die Wände waren und dass dahinter Ohren lauschen konnten, denen nichts von alledem entging, was ich sagte.
    Vorsicht war geboten, ich musste mich behutsam vorantasten, um zu erfahren, was niemand wissen sollte, um zu entdecken, was entdeckt werden sollte.
    Die Kaiserin hörte immer noch gerne, wie großartig sie war, wer sie hinreißend und voller Anmut gefunden hatte, eleganter, leichtfüßiger als Marie-Theresia von Österreich. Aber sie dürstete auch nach anderem Stoff, genoss es, wenn ich von dem blinden Greis erzählte, der auf dem Tatarenmarkt die alten Balladen von den ruhmreichen Taten der Romanows sang, wenn ich von den Bettlern auf der Großen Perspektivstraße berichtete, die das gute Herz ihrer Zarin priesen, wenn kaiserliche Almosen verteilt wurden.
    »Du hast eine Tochter«, sagte die Kaiserin eines nachts unvermittelt. »Ich möchte sie morgen Vormittag sehen.«
     
    »Mais, elle est charmante« , rief die Kaiserin entzückt, als ich mit Darja, die ihr neues gelbes Kleidchen trug, das kaiserliche Schlafzimmer betrat. »Du musst sie mir öfter bringen, jetzt, da ihr im Palast wohnt.«
    »Zum Spielen?«, fragte Darja freudig. Selbst Iwan Schuwalow musste schmunzeln.
    Die Kaiserin nahm eine der Katzen auf den Arm. »Murka, du Rumtreiber«, murmelte sie. »Wo warst du die ganze Nacht? Wo hast du dich versteckt?«
    Bevor ich eingreifen konnte, lief Darja zur Kaiserin, streichelte Murka und machte eifrig Vorschläge, wo das Tier sich versteckt
haben könnte: »Auf dem Ofen … unter dem Bett … in der Kutsche … da vielleicht?« Sie zeigte auf eine große Bodenvase neben der Tür.
    Da stand meine Tochter, nicht mal drei Jahre alt, und plapperte drauflos, ohne die geringste Scheu vor der Kaiserin.
    Es war richtig gewesen, an den Hof zurückzukehren, dachte ich und sah im Geist bereits ein Bild von der strahlenden Zukunft, die Darja erwartete: Eine glückliche junge Frau, zu ihren Füßen mehrere reizende Kinder und hinter ihr ein durch und durch anständiger Mann, dessen Gesicht noch verschwommen war.
    Geliebt und geborgen, auch wenn ich sterben würde.
    Die Zofe brachte Eis in einer Schale, um damit Elisabeths Gesicht zu kühlen. Hinter ihr trat die erste Kammerfrau ein, um die Kleiderpuppen mit den kaiserlichen Gewändern zu präsentieren.
    Ich nahm Darja bei der Hand und gab ihr zu verstehen, dass sie jetzt knicksen musste. Meine Augen brannten vor Müdigkeit. Ich sehnte mich nach meinem Bett, ich brauchte unbedingt noch ein paar Stunden Schlaf, bevor ich wieder meinen Dienst bei der Kaiserin antrat.
    »Ich werde sie so oft herbringen, wie Eure Majestät es wünscht«, versicherte ich.
     
    Drei Tage später gegen Abend kam ein Bote aus Oranienbaum. Die Großfürstin war von einem heftigen Schmerz aufgewacht. Die Zofe, die die Bettdecke hob, war in Ohnmacht gefallen. Man hatte Katharina angewiesen, bewegungslos auf den blutgetränkten Laken liegenzubleiben, bis der Doktor käme. Dieser hatte nur noch feststellen können, dass keine Hoffnung mehr bestand. Das Baby war tot.
    Alle gaben ihr die Schuld. Sie hätte sich von den Pferdeställen fernhalten sollen, wo es nach Mist stank, sie hätte besser aufpassen sollen, nicht den Rauch von heruntergebrannten Kerzen einzuatmen, sie hätte schlechte Luft, die durch die Poren der Haut
drang, meiden sollen. Die Zofen tuschelten, dass die Großfürstin, wenn ihr eine schwarze Katze über den Weg lief, ungerührt weitergegangen sei, statt sofort umzukehren, dass sie nur gelacht habe, als die Hebamme ihr einen segenskräftigen Stein, in dem kleine Steinchen klapperten, wenn man ihn schüttelte, gab und ihr empfahl, ihn immer bei sich zu tragen. Dass sie den guten Rat, sich niemals so hinzusetzen, dass die Beine frei baumelten, in den Wind geschlagen, dass sie mit frisch geschlüpften Küken gespielt habe.
    Alle redeten nur noch davon. Selbst Darja beschäftigte das Thema. »Warum ist die Kaiserin traurig? Hat sie Bauchweh, Maman?«, fragte sie mitleidig.
    Ich nahm alle Kraft zusammen, um zu verbergen, dass meine Hände zitterten und dass meine Stimme zu versagen drohte.
    In der Suite der Kaiserin drängten sich die Besucher. Die Damen vom Klatschzirkel verspritzten unter betrübtem Kopfschütteln das Gift ihres Tadels: »… so fahrlässig … wusste sie denn nicht? … wie konnte sie nur?«
    Die Kaiserin saß regungslos im Licht, das Gesicht erhitzt und

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