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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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ihm, sich von Katharina fernzuhalten, die Großfürstin müsse ja nicht vor aller Welt ihre Brunst zur Schau stellen. In Wirklichkeit drückte sie es mit noch gröberen Worten aus. Beim bloßen Gedanken an Katharina verfiel Elisabeth ins Ordinäre.
    Ich sah Katharina oft, war aber selten mit ihr allein. Immerhin, manchmal gelang es mir, mich unter irgendeinem Vorwand in ihr Schlafzimmer zu stehlen. Dann redete sie die ganze Zeit von ihrem Geliebten.
    »Vermisst er mich? Warum muss er sich von mir fernhalten? Warum schreibt er nicht?«
    Sie war den Tränen nahe. Sie konnte nicht glauben, dass er in all der Zeit nie den Versuch gemacht hatte, zu ihr vorzudringen.
    Ich dachte daran, wie Sergej Saltykow die Große Perspektivstraße entlangstolzierte, wie selbstgefällig er jedes Mal grinste, wenn jemand in seiner Gegenwart die Großfürstin erwähnte.
    Ich sprach davon, dass sie um des Kindes willen Opfer bringen müsste. »Sergej kann Sie nicht besuchen«, sagte ich. »Er muss den Schein wahren.« Aber nach einiger Zeit gab sie sich damit nicht mehr zufrieden, sie wollte die Wahrheit wissen.
    »Sie hat ihm verboten, in meine Nähe zu kommen, nicht, Warenka?«
    »Ja.«
    »Aber warum?«
    »Das Kind –«, begann ich, aber sie schnitt mir das Wort ab.
    »Warum reden alle immer nur über dieses Kind, Warenka? Bin ich überhaupt nicht mehr wichtig?«
    Sie wusste nur allzu genau, warum. Sie trug, so hoffte Elisabeth, in ihrem Leib den Thronerben, den künftigen Herrscher des russischen Reichs.
    Ich frage mich oft, was passiert wäre, wenn ich Katharina die Wahrheit über ihren treulosen Liebhaber gesagt hätte. Aber auch ich glaubte an die Warnung, die an der Wand der Kunstkamera geschrieben stand: dass die Gedanken und Ängste einer Mutter die Entwicklung ihres noch ungeborenen Kindes beeinflussen. Ich wollte nicht, dass Katharina sich mit eifersüchtigen Gedanken und mit Zweifeln quälte, ich wollte, dass sie Hoffnung empfand und dass ihr Kind diese Hoffnung in sich aufnahm.
     
    In den Klöstern und Kirchen Russlands betete das Volk, dass das Kind der Großfürstin gesund zur Welt kommen möge.
    Mit jedem Monat der Schwangerschaft wuchs die Hoffnung der Kaiserin. Ihre Wutanfälle schrumpften zu bloßen Ausbrüchen von Ärger, die schnell verpufften. Man brauchte nur das bevorstehende freudige Ereignis zu erwähnen, und sofort hörte Elisabeth auf, wild schimpfend um sich zu schlagen, und bekreuzigte sich.
    War das Kind in Katharinas Leib ein Junge oder ein Mädchen? Alle hielten Ausschau nach Zeichen, die es verrieten. Bevorzugte die werdende Mutter den rechten Fuß oder den linken? Hob sie Dinge mit der rechten Hand auf oder mit der linken? In welche Richtung zeigten ihre Knie, wenn sie sich seitlich auf ein Sofa setzte?
    Sie gab der rechten, der »edleren« Seite den Vorzug, so die einhellige Meinung, folglich war das Kind ein Junge.
    Die Kaiserin bemühte sich darum, das Wohlwollen Gottes und des Schicksals zu erkaufen. Sie ging nicht so weit, Iwan Schuwalow aus ihrem Bett zu verbannen, aber immer häufiger ließ sie, sobald er sich zurückgezogen hatte, ihren Beichtvater rufen. Jederzeit, selbst mitten in der Nacht, konnte es ihr einfallen, einen Bediensteten auszusenden, der Almosen verteilen musste. Nach einer durchzechten Nacht tat sie Buße, sie fastete und ging in die Kapelle zum Gebet. Die Kaiserin Russlands kniete vor der heiligen Ikone und flehte zur Mutter Maria, dass bei der Geburt ihres Kindes alles gutgehen möge.
    Jeden Tag besuchte sie Katharina, erkundigte sich, ob die Großfürstin ruhig geschlafen hatte, vergewisserte sich, dass Katharina regelmäßig Rhabarber und Pflaumenkompott aß, damit Abfallstoffe nicht zu lange im Darm blieben, denn das konnte vorzeitige Wehen auslösen. Sie schickte Gänseschmalz, mit dem Katharina ihren Bauch einreiben sollte; es sei weit besser, meinte sie, als Mandel- oder Leinöl. Sie kümmerte sich darum, dass der Stützgürtel aus Hundeleder, den Katharina trug, mit Rosenwasser ge
waschen und mit frischer Butter gefettet wurde, damit er schön weich war.
    Ein Kinderzimmer war nicht vorgesehen. Es kam überhaupt nicht in Frage, dass das Kind, dieses Geschenk Gottes, mit irgendwelchen Ammen alleine gelassen würde, fern von dem wachsamen Auge der Kaiserin. Katharinas Kind sollte im Schlafzimmer der Kaiserin schlafen. Der Umzug in den Palast, in dem die Herrscherin während der Bauarbeiten im Winterpalast residieren sollte, würde so lange aufgeschoben, bis der Säugling

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