Der Winterpalast
Winterpalast umziehen mussten.
Ich setzte mich meinem Mann gegenüber und strich meinen Rock glatt. Eine Welle von Müdigkeit überkam mich – all die schlaflosen Nächte machten mir zu schaffen, und ich fragte mich, wie lange ich das noch durchhalten konnte. Offenbar sah Igor mir meine Erschöpfung an. »Du solltest dich hinlegen, bevor du zur Kaiserin gehst«, sagte er stirnrunzelnd. »Wie spät ist es jetzt?«
»Kurz vor fünf.« Von Darja war nichts mehr hören. Bestimmt lauschte sie gespannt einer von Maschas Geschichten.
Igor beugte sich vor. Der Krieg, sagte er, sei eine Chance. Es klang triumphierend, so als hätte er endlich die Lösung eines Rätsels entdeckt, das ihn lange beschäftigt hatte. Im Krieg ergäben sich echte Möglichkeiten, während man hier am Hof immer nur mit leeren Versprechungen abgespeist werde. Im Krieg konnte ein Soldat sich hervortun, seine Tapferkeit beweisen und wurde dann mit Beförderungen und Auszeichnungen belohnt. Er kämpfte in Schlachten, von denen noch die Enkel reden würden. Einige der Garderegimenter würden an der Front eingesetzt werden, andere würden hierbleiben. In so einem historischen Moment musste ein Mann wissen, was er wollte.
»Jetzt haben wir Aussichten, kison'ka «, hörte ich ihn sagen.
Er war also entschieden. Mein Mann hatte genug von vagen Verheißungen, er würde sich zur kämpfenden Truppe versetzen lassen. Der Gedanke hatte etwas Befreiendes. Es war gut, wenn diese Jahre ziellosen Dahintreibens ein Ende hatten. Igor würde als Major oder vielleicht sogar als Oberst aus dem Krieg heimkehren. Unsere Tochter würde eine anständige Mitgift bekommen. Wir würden ein Landgut kaufen.
»Wann?«, fragte ich.
»Bald.« Er senkte die Stimme. »Aber erzähl es niemandem.«
Ich nickte. Er brauchte mir nicht zu sagen, dass man seine Wünsche und Pläne am besten für sich behielt.
»Wie lange dauert das denn noch mit dem Tee?« Igor warf einen Blick auf den Samowar.
Das Mädchen ließ sich wirklich Zeit. Ich hörte sie draußen auf dem Flur mit dem Diener streiten.
»Sergej Saltykow hat versucht, einen der neuen Offiziere vom Ismailowski-Regiment anzupumpen. Orlow heißt der Mann und kommt aus Twer.« Igors Stimme klang jetzt wieder ganz unbekümmert. »Sergej will fünfzig Rubel auf eine Stute setzen, die er entdeckt hat. Ein ganz großartiges Pferd, meint er. Ich soll es mir mal ansehen.«
»Er hat versucht , ihn anzupumpen?«
»Ja, aber Orlow ist genauso abgebrannt wie alle. Saltykow will jetzt nach Oranienbaum fahren und die Großfürstin fragen, ob sie ihm was leiht.«
Ich trat an den Samowar und öffnete den Hahn. Etwas heißer Tee spritzte auf meine Hand; ich wischte ihn hastig weg. »Wann?«, fragte ich.
»Morgen, sagt er, aber der Mann redet viel, wenn der Tag lang ist.«
Ich goss Tee ein und stellte die Tassen auf den Tisch. Die verbrühte Stelle auf meinem Handrücken war ganz rot und tat weh.
Igor begann wieder vom Krieg zu reden und von den Aussichten, die er eröffnete, aber ich hörte gar nicht mehr richtig zu. Saltykow kehrte zu Katharina zurück – sie bekam eine zweite Chance. Und wenn es dieses Mal klappte und sie ein Kind zur Welt brachte, würde niemand seine legitime Geburt in Zweifel ziehen.
Sechs
1754-1755
E in weiteres Jahr verging, und die Großfürstin hatte noch eine Fehlgeburt. Aber dann, im Januar 1754, wurde sie wieder schwanger, und jetzt holte die Kaiserin Katharina zurück nach Sankt Petersburg.
Die werdende Mutter musste sich strengen Regeln unterwerfen. Körperliche Anstrengungen, Tanzen und Reiten waren verboten. Sie sollte die Arme nicht heben und sich nie im Kreis drehen, sie sollte nur in kleinen Schritten gehen. Damit ihre Muskeln geschmeidig blieben und sie nicht stolperte oder gar stürzte, massierten die Zofen ihr morgens und abends die Beine mit Franzbranntwein und Johannisöl.
Sie durfte kein Korsett tragen und keine Maskenbälle besuchen. Auch Halsbänder waren verboten, damit sich das Kind nicht mit der Nabelschnur erdrosselte. Keine salzigen Speisen, denn zu viel Salz konnte bewirken, dass das Kind ohne Fingernägel geboren wurde und zeitlebens keine Tränenflüssigkeit produzieren konnte. Man musste Katharina ständig bei heiterer Laune halten, damit das Kind nicht melancholisch wurde.
Elisabeth instruierte den Großfürsten, sich mindestens einmal im Monat seiner Frau zu »nähern«, um dem Kind in ihrem Leib »seinen Stempel aufzudrücken«.
Und Sergej Saltykow?
Die Kaiserin befahl
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