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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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nicht wollte, versicherte sie mir. Die Hebamme, eine unglaublich stumpfsinnige Person, bespitzle sie im Auftrag der Kaiserin und lasse sie nie aus den Augen.
     
    Der Herbst kam früh in diesem Jahr. Am letzten Augusttag blies schon ein schneidend kalter Wind, der Blätter von den Bäumen riss. Ich stand vor dem Sommerpalais, als eine Kutsche vorfuhr. Katharinas Stimme rief meinen Namen.
    Fürst Naryschkin half ihr beim Aussteigen. »Ich konnte es dir nicht mitteilen«, sagte sie – offenbar sah sie mir meine Überraschung an. Bijou, ihr weißes Hündchen, sprang um sie herum, froh darüber, dass er nicht länger eingesperrt war.
    »Weißt du, er hat mich entführt.« Sie zeigte auf den Fürsten.
Ihre Augen glänzten schelmisch, die dunklen Ringe darunter waren jetzt kaum mehr zu sehen. Sie machte ein Hohlkreuz, als sie auf mich zu schritt. Unter ihrem wollenen Reisemantel wurde pfirsichfarbener Seidenstoff sichtbar, der um ihren unförmigen Leib wogte – sie war jetzt im neunten Monat.
    »Es war alles meine Idee.« Fürst Naryschkin lachte. Stolz erzählte er, wie er die Kaiserin überlistet hatte. Er hatte sie überredet, ihm zu erlauben, Katharina auf einen Ausflug hierher mitzunehmen, damit sie selbst sehen konnte, wie weit die Vorbereitungen gediehen waren. Dann hatte er der Großfürstin vorgeschlagen, einen kleinen Spaziergang mit dem Hund zu unternehmen, aber das war nur ein Vorwand gewesen, um die Hebamme loszuwerden: Sobald diese sie aus den Augen gelassen hatte, waren die beiden zu der bereitstehenden Kutsche gelaufen und davongefahren.
    Es war Waschtag. Vor dem Sommerpalais im Freien brannten Feuer, über denen riesige Wasserkessel hingen. Es roch nach Seifenlauge. Dienstboten gingen hin und her, brachten Körbe voller Wäsche, Waschbretter und Eimer für das Seifenwasser, das anschließend an die Armen verschenkt werden sollte.
    Ich führte Katharina in den Raum, in dem die Geburt stattfinden sollte. Er lag neben der Suite der Kaiserin. Die Wände waren mit rotem Damast bespannt, ein Tisch stand darin, und auf dem Boden lag, wie es die Tradition verlangte, eine einfache Rosshaarmatratze. Bijou beschnüffelte sie so aufgeregt, dass ich mich im Stillen fragte, ob sich vielleicht bereits Mäuse darin eingenistet hatten.
    »Das Laken wird weich sein, Hoheit«, sagte ich bemüht heiter. »Es ist schon seit etlichen Generationen in Gebrauch. Und es wird auch ein richtiges Bett geben, in dem Sie sich nachher ausruhen können.«
    Katharina sah sich um. Ihre Miene verdüsterte sich. Die kahle Nüchternheit des Raums musste sie befremden, erst recht im Vergleich mit all der Pracht von Peterhof. Vom Korridor drang laut
starkes Schimpfen herein – jemand hatte einen Stapel frischer Wäsche umgestoßen. Bijou fing an zu bellen.
    »Wenn ich sterbe, Warenka …«, sagte Katharina. Ihr Gesicht war so bleich, dass ich erschrak.
    »Sie werden nicht sterben. Sie sind gesund und stark.«
    Fürst Naryschkin nahm sie beim Arm und führte sie ans Fenster.
    »Da«, sagte er.
    Im Sommergarten stand, in purpurroten Samt gekleidet, Sergej Saltykow. Er verbeugte sich tief, zog mit großer Geste den Hut und schwenkte ihn ebenso ehrfurchtsvoll wie elegant. Katharina seufzte beglückt und klatschte in die Hände.
    »Das ist meine zweite Überraschung für Sie«, sagte Fürst Naryschkin und öffnete das Fenster, damit Saltykow hereinklettern konnte. »Wo bleibt mein Lohn, Hoheit? Schenken Sie mir wenigstens ein Lächeln.«
    Schlank und muskulös wie Saltykow war, kostete es ihn keine Mühe, durchs Fenster zu kommen. Ein Sprung, eine geschmeidige Wendung, und schon war er im Zimmer. Er lächelte triumphierend.
    »Sergej!«
    Ich sah zu, wie sie ihm um den Hals fiel. Ich hörte sie flüstern: »Ich warte jede Nacht … Nein, ich kann nicht … bitte … es tut mir weh.«
    »Aber jetzt bin ich hier.«
    Katharinas Finger nestelten am Spitzenkragen ihres Geliebten. Neben den beiden machte Bijou trippelnd Männchen, aber sie beachteten ihn nicht.
    Ich warf dem Fürsten einen Blick zu und trat einen Schritt zurück. Als wir hinausgingen, sah ich über die Schulter Sergej Saltykows hübsches Gesicht. Ein Ausdruck zärtlicher Besorgnis lag darin. Er fasste sanft Katharinas Hände und umschloss sie mit den seinen.
    »Ssch«, murmelte er. »Habe ich das nicht gut gemacht? Wie versprochen.«
     
    »Es ist so weit.«
    Es wurde gerade dunkel, als die Nachricht von der Hebamme kam. Außerdem ließ sie ausrichten, dass sie frische Butter,

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