Der Winterpalast
kräftig genug dafür war. Ein Wünschelrutengänger stellte fest, dass das Schlafzimmer frei von verborgenen »Strömungen« war, die dem Baby schaden konnten, und eine alte Frau räucherte den Raum jeden Freitag mit einer Mischung aus Weihrauch und Wildkräutern aus, um den »Fürsten der Finsternis« fernzuhalten.
Ich war mittendrin im Strudel hektischer Vorbereitungen auf das große Ereignis. Jeden Tag wurden hochschwangere junge Frauen vom Land hergebracht, die von der Kaiserin persönlich auf Herz und Nieren geprüft wurden, ob sie als Ammen des kaiserlichen Kindes geeignet waren. Sie mussten jung, gesund und hübsch sein, geduldig und von sanftem Wesen, sie mussten wohlriechenden Atem und große Brüste haben. Ich sah zu, wie sie alle das Kreuz küssten und schworen, sie würden das Kind voller Liebe und Zärtlichkeit nähren und ihm niemals irgendwelche teuflischen Kräutertränke verabreichen.
Kissen, Decken, Bettüberzüge wurden bestellt, aber noch nicht geliefert, denn man fürchtete, damit das Unglück herauszufordern. Die prächtig mit Schnitzereien verzierte Wiege sollte mit Silberfuchs ausgekleidet werden, winzige Häubchen mit Spitzensäumen lagen bereit, Vorhänge aus besticktem Samt sollten das Kind vor Zugluft schützen.
Wenn das Kind geboren ist , sagt man, behüte es vor kaltem Wind.
Katharina war zu einem bloßen Gefäß geworden, sie war ganz Bauch. Aber wenn Darja sich an mich schmiegte, wenn ich ihre
warmen, weichen Arme um meinen Hals fühlte, war ich vollkommen überzeugt davon, dass der Moment, in dem Katharina ihr eigenes Kind in den Armen hielte, sie für all das Leid, das sie jetzt erfuhr, entschädigen würde.
Im Sommer, als Katharina im sechsten Monat schwanger war, wollte die Kaiserin sie nicht mehr aus den Augen lassen. Das Thronfolgerpaar musste mit ihr nach Peterhof ziehen, wo sie Katharina täglich sehen konnte. Eine Hebamme musste immer in der Nähe der Großfürstin sein.
Ich verbrachte den Sommer zumeist in Sankt Petersburg, wo Monsieur Rastrelli, da der große Umbau des Winterpalasts um ein weiteres Jahr aufgeschoben worden war, dafür sorgen musste, dass wenigstens die wichtigsten Reparaturen ausgeführt wurden. Wochenlang wurde im kaiserlichen Schlafzimmer mit Hochdruck gearbeitet, aber der Putz hielt nicht auf den von Schimmel zerfressenen Decken, und die neuen Tapeten lösten sich von den feuchten Wänden. Als Ende August abzusehen war, dass die Reparaturen nicht rechtzeitig zum Abschluss gebracht werden konnten, änderte die Kaiserin ihre Pläne und verfügte, dass Katharina das Kind in dem kleinen Sommerpalais am Rand des Sommergartens zur Welt bringen sollte.
Igor wartete immer noch darauf, dass seine Versetzung zur regulären Armee genehmigt wurde. Oberst Sinowjew war bei einem Reitunfall ums Leben gekommen, und der neue Regimentskommandeur verschleppte die Angelegenheit. Ein Belobigungsschreiben war verloren gegangen. Akten mussten angefordert, Abschriften angefertigt werden. Igor hatte schon ein kleines Vermögen für Schmiergeld ausgegeben.
Darja wurde eifersüchtig, weil andauernd nur von dem Baby der Großfürstin geredet wurde. Sie wollte wissen, warum sie keine Geschwister hatte. Seit Mascha ihr gesagt hatte, der Storch bringe die kleinen Kinder durch den Kamin, schaute sie täglich in unserem Kamin nach. Einmal beobachtete ich, wie sie einen Apfel
für den Storch hinlegte. Sie war ganz aufgeregt, als sie am nächsten Tag feststellte, dass der Köder verschwunden war.
Es würde eine schmerzhafte Geburt werden, bekam ich jedes Mal zu hören, wenn ich in Peterhof war, um der Kaiserin von den Fortschritten der Vorbereitungen zu berichten. Das erste Kind musste seinen späteren Geschwistern den Weg bahnen. Einmal war ich bei einem Gespräch der Kaiserin mit der Hebamme anwesend; Elisabeth sagte ihr, falls es bei der Geburt gefährliche Komplikationen gebe, müsse sie um jeden Preis das Leben des Kindes retten.
Auch davon erzählte ich Katharina nichts.
Sie trug jetzt weite Kleider, umhüllte sich mit wallenden Stoffen. Ihr Gesicht wirkte angespannt. In Gegenwart der Kaiserin erhob sie sich fast nie von ihrer Chaiselongue. Alle lauten Geräusche waren verboten, um sie nicht zu erschrecken. Die Leute bewegten sich wie auf Zehenspitzen und sprachen nur leise.
Sergej Saltykow war immer noch am Hof, als Kammerherr des Großfürsten. Ich sehe ihn , schrieb Katharina, aber ich kann nie allein mit ihm sprechen.
Das lag nicht etwa daran, dass er es
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