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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Asche, Rhabarberwasser, Wein und Essig brauchte.
    Die Kaiserin eilte zu ihr.
    Die Hebamme verkündete stolz, dass das Fruchtwasser eine rötliche Färbung hatte, ein sicheres Zeichen dafür, dass das Kind ein Junge war.
    In der Suite der Kaiserin versammelten sich die Hofdamen, um gemeinsam zu warten. Ich nahm in einer Ecke Platz und beobachtete, wie sie, die Köpfe gesenkt, Rosenkränze zwischen den Fingern, Gebete murmelten. Die meisten gehörten zur Entourage der Kaiserin, nur fünf von Katharinas Ehrendamen waren da. In dem überfüllten Raum roch es nach Jasmin und den kandierten Orangenschalen, die Elisabeth so gerne naschte.
    Durch die dünnen Wände des Sommerpalais konnten wir Katharinas Stöhnen hören. Manchmal gab sie auch helle Schmerzensschreie von sich, die an das Jaulen eines Hundes denken ließen. Hin und wieder ermahnte die Kaiserin sie, tapfer zu sein, aber meistens hörten wir die Hebamme, die Katharina anwies, tief zu atmen, zu trinken und zu pressen, immer wieder: pressen, pressen.
    Es war eine kühle Septembernacht. Rastlos stand ich auf, trat ans Fenster und lugte durch die Vorhänge. Draußen im Mondlicht wiegten sich die Zweige einer Eiche im Wind.
    Mach, dass es schnell geht , betete ich. Und dass das Kind sie Frieden finden lässt.
    Der Großfürst kam. Ich hörte ihn polternd in den Raum nebenan treten und mit der Gebärenden reden. Ich hoffte, dass er ihr Mut zusprach. Die Kaiserin fragte ihn, wo er so lange geblieben sei und warum er nicht seine russische Uniform trage.
    Er habe seine Holsteiner inspiziert, sagte er. Sie stünden bereit zur Parade. »Es wird doch wohl eine Parade stattfinden, oder?«, fragte er mit dieser hellen Stimme, die immer etwas quengelig klang.
    Wenige Minuten später hörten wir ihn fortgehen.
    Nach einer Stunde ging auch Elisabeth. Die Hebamme hatte ihr gesagt, es könne noch lange dauern.
    Sie werde sich in ihr Schlafzimmer zurückziehen, verkündete die Kaiserin den versammelten Hofdamen und nahm sich ein Stückchen kandierte Orangenschale von dem Tellerchen, das Gräfin Schuwalowa ihr eilfertig hinhielt. Dort werde sie warten, bis die Wehen ihre Wirkung taten.
     
    Um Mitternacht warteten wir immer noch. Da die Kaiserin nicht schlafen konnte, hatte sie die Damen ihres Gefolges in ihr Schlafzimmer kommen lassen, um mit ihnen zu beten, Katharinas Ehrendamen waren fortgeschickt worden. Im Sommerpalais, erklärte Elisabeth, sei nicht genügend Platz für so viele Leute. Das Baby brauche Luft zum Atmen.
    Um zwei Uhr morgens schlich ich mich in das Geburtszimmer, um zu fragen, ob ich mich irgendwie nützlich machen könnte. Um die Matratze herum standen zehn dicke Kerzen. Ich bekreuzigte mich unwillkürlich bei dem Anblick, so sehr erinnerte die Szene an ein Sterbezimmer. Mondlicht erfüllte den Raum. Außer der Hebamme und ihrer Gehilfin, einer jungen Frau mit einem Kopftuch, war niemand bei der Gebärenden.
    Das frisch gestärkte und parfümierte Laken, das man über die Rosshaarmatratze gelegt hatte, war jetzt zerknittert und schmutzig. Katharinas Gewand war vorne geöffnet, ihr Haar war zerzaust und verschwitzt. Sie zitterte, ihr Fleisch wirkte teigig, ihre Brüste aufgedunsen.
    Als sie mich sah, versuchte sie sich aufzurichten. »Niemand hat mir gesagt, dass es so furchtbar wehtut«, stöhnte sie. Sie deutete auf ihren riesigen Bauch. »Vielleicht platze ich ja einfach, was meinst du?«
    »In ein paar Stunden ist alles vergessen.«
    »Wann kommt die Kaiserin?«
    »Bald.«
    »Bitte, Warenka, lüg mich nicht an. Nicht du auch noch.«
    Die Hebamme schnalzte gereizt mit der Zunge, darum schwieg ich lieber. Ihre geröteten Hände tasteten behutsam nach dem Kopf des Babys.
    »Das Kind liegt genau richtig«, sagte sie zu mir. »Das können Sie Ihrer Majestät melden.«
    Die Dielenbretter knarzten, als ich mich neben der Matratze hinkniete. Auf einem Tischchen lagen neben einer großen Porzellanschüssel weiße Windeln.
    »Verschwinden Sie endlich«, knurrte die Hebamme.
    Ich stand auf und ging.
    Zwei von Katharinas Zofen lungerten auf dem Flur herum. Ich fragte mich, welche von beiden wohl die Spionin war.
    »Was habt ihr hier zu suchen?«, fuhr ich sie an. Sie stoben davon, als wäre der Teufel hinter ihnen her.
     
    Nur die Kaiserin, der Großfürst und fünf von Elisabeths Hofdamen waren in der letzten Phase der Geburt dabei.
    Das Geflüster jenseits der Wand verstummte, und dann hörte ich es, den ersten dünnen Schrei eines Babys, der in freudigem Lärm

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