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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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meine Hand und küsste sie. »Du wirst mir helfen. Und meinem Sohn.«
    »Ja«, sagte ich, »das werde ich.«
     
    Das Hofjournal berichtete, dass am 20. September 1754 gegen Morgen Ihre kaiserliche Hoheit, die Großfürstin Ekaterina Alexejewna, einen Sohn geboren hatte. Gott hatte ihr Seine kaiserliche Hoheit, den Großfürsten Paul Petrowitsch, geschenkt.
    In der elften Stunde des Tages , so das Journal, wurde das Kind von der Suite Ihrer kaiserlichen Hoheiten, des Großfürsten und seiner Gemahlin, in die inneren Gemächer Ihrer kaiserlichen Hoheit gebracht.
    Das war eine Lüge.
    Es geschah nicht in der elften Stunde , sondern wenige Minuten nachdem die Nabelschnur, die das Kind mit seiner Mutter verbunden hatte, durchtrennt worden war.
     
    »Die ganze Wahrheit, Warenka«, bat Katharina. »Du darfst mir nichts verschweigen, nur um mich zu schonen.«
    Die Großfürstin erregt peinliches Aufsehen … Der arme Saltykow versucht sein Bestes, um sich zu befreien, aber es ist ihm nun einmal nicht gegeben …
    Anfang November zog der Hof wieder in den Winterpalast um, wo man die gröbsten Schäden mehr oder weniger provisorisch behoben hatte – im folgenden Jahr sollten dann die eigentlichen Umbau- und Renovierungsarbeiten beginnen. Das kaiserliche Schlafzimmer diente jetzt zugleich als Kinderzimmer, und Elisabeth verbrachte dort die meiste Zeit ihrer Tage. Voller Eifersucht gegenüber den Ammen hütete sie das Kind. Sie hatte kaum noch andere Interessen, sogar Iwan Schuwalow musste zurückstehen.
    Wenn der Großfürst zu Besuch kam, durfte er seinen Sohn kurz auf den Arm nehmen, aber wenn der Kleine nur ein bisschen weinerlich das Gesicht verzog, schickte sie Peter wieder fort. Ihm mache das nichts aus, sagte er zu Katharina, Kleinkinder seien nun einmal bei Frauen besser aufgehoben. Seine Zeit werde schon noch kommen, und dann werde er seinen Sohn zu einem richtigen Soldaten erziehen. »Seinen Sohn«, sagte Katharina verbittert. »Ich zähle überhaupt nicht.«
     
    »Der Stolz Ihrer kaiserlichen Hoheiten, ihr größter Schatz und die Hoffnung des mächtigen russischen Reichs«, so hatte der Kanzler den Großfürsten Paul Petrowitsch in seiner Rede bei dem Diner zur Feier der Taufe genannt.
    »Ich habe etwas für die Großfürstin, Warwara Nikolajewna«, sagte Bestuschew einmal, als ich mit ihm alleine war. »Ein von mir entdecktes Lebenselixier, die Tinctura toniconervina Bestuscheffi . Eine Arznei gegen Liebeskummer und Nervenzerrüttung. Unverzichtbar in so schweren Zeiten.«
    Er ging hinaus, um das Wundermittel zu holen, und ich nutzte die Gelegenheit, mich auf seinem Schreibtisch umzusehen. Ein großes Blatt lag da, auf dem in fetten Lettern gedruckt stand:
    Sergej Wasiljewitsch Saltykow … Alter: 26 … gutaussehend … Frauenheld … Affären mit Madame … Gräfin … Fürstin … liebenswürdiges Benehmen … neigt zur Pedanterie … hat von der Kaiserin für seine Dienste 6 000 Rubel erhalten und die Zusage, zum Gesandten am schwedischen Hof ernannt zu werden.
     
    Ich besuchte Katharina jeden Tag. Sie war immer noch sehr angegriffen, starrte stundenlang aus dem Fenster auf den Fluss hinaus, neben sich Bijou. Meine Versicherungen, dass es Paul gut ging, beruhigten sie nicht. »Geh wieder zu ihm«, bat sie. »Sie würden mir nichts sagen, selbst wenn er im Sterben läge, das weißt du so gut wie ich.«
    Uns war immer bewusst, dass wir uns vor den Spionen der Kaiserin in Acht nehmen mussten. Manchmal schlich ich mich im Morgengrauen in Katharinas Schlafzimmer, manchmal mitten in der Nacht. Ich nutzte jede Gelegenheit, mit ihr allein zu sein; selbst wenn es nur ein kurzer Moment war, konnte ich ihr doch wenigstens ein tröstendes Wort zuflüstern.
    Ein- oder zweimal fiel mir auf, dass ein typisch männlicher Geruch nach Schnupftabak und feuchtem Leder im Raum hing. »Sergej war hier. Niemand hat ihn gesehen«, war alles, was ich ihr dazu entlocken konnte.
    Draußen fiel der erste Schnee und legte sich über die Straßen und Dächer der Stadt. Die Sonne ging früh unter. Schon am Nachmittag erhellten nur noch Fackeln und die Feuer der Wachposten den Platz vor dem Palast. Darja war jetzt fünf; sie blätterte gerne in alten Büchern und suchte nach Bildern. »Bin das ich, Maman?«, fragte sie einmal und zeigte auf ein Kind, das auf einem Kupferstich dargestellt war. Sie war sehr erleichtert, als ich ihr versicherte, dass seit der Ermordung der unschuldigen Kinder durch die Soldaten des Herodes

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