Der Winterpalast
viele hundert Jahre vergangen waren und dass die Mutter, die verzweifelt ihre Hände rang, nicht ich war.
Als Katharina zum ersten Mal nach der Geburt wieder die Kom
munion empfangen durfte, konnte sie bereits ohne Schmerzen gehen. Ihre Genesung machte gute Fortschritte, sagte ich mir. Kein Gift ohne Gegengift. Bald würde sie Saltykow vergessen haben.
Anfang Dezember verließ Sergej Saltykow Sankt Petersburg und fuhr auf sein Landgut – offenbar nicht auf Befehl der Kaiserin, sondern aus eigenem Willen. »Hier sind zu viele Frauen hinter ihm her«, bemerkte der Kanzler. Seine Augen funkelten boshaft.
Und was redete ich mit Katharina in diesen letzten Wochen des Jahres?
Ich sagte ihr, dass das Glück nicht so blind ist, wie die Leute glauben; seine Schritte sind wohlüberlegt – es dauert nur seine Zeit, bis es ans Ziel kommt.
Und ich machte ihr klar, dass die Schuwalows keineswegs auf ganzer Linie gesiegt hatten. Denn jetzt, da die Kaiserin den ersehnten Thronerben hatte, war sie nicht mehr auf Peter angewiesen.
»Sie hat jetzt neue Optionen«, sagte ich. »Wenn sie Paul Petrowitsch zu ihrem Nachfolger bestimmt und Peter übergeht, dann werden Sie Regentin.«
»Das hat die Kaiserin gesagt?«, fragte Katharina. In ihren Augen glomm ein Hoffnungsfunke.
»Nein. Aber es ist etwas, das man in Erwägung ziehen muss.«
»Ich will mich nicht mit bloßen Spekulationen trösten, Warenka.« Sie runzelte die Stirn. »Ich muss wissen, was die Kaiserin spricht.«
In den letzten Tagen des Jahres soll man seine Schulden begleichen, und das tat die Kaiserin: Sie dankte Unserer lieben Frau von Kasan für das segensreiche Jahr, das ihr den unendlich kostbaren Thronerben beschert hatte.
Die Geschenke, die sie der Jungfrau Maria brachte, waren einer Romanow angemessen: ein neues oklad für die Ikone, besetzt mit Perlen, Diamanten, Rubinen und Saphiren, ein Altarkreuz aus
Gold und Edelsteinen, ein reich verziertes Weihrauchfass. Wir alle wurden zusammengerufen, um die Gaben zu bewundern und unserem Staunen angesichts der prächtigen Steine, der feinen Ziselierungen, der meisterhaften Emaillearbeiten Ausdruck zu verleihen.
Katharina ließ sich selten in der Öffentlichkeit sehen. Sie sei immer noch wund von der Geburt und leide an Migräne, klagte sie und durfte deswegen Hofbällen und Maskeraden fernbleiben.
Die Zofen tuschelten, dass die Großfürstin oft weine, wenn sie glaubte, niemand beobachte sie. Die Kaiserin ließ das kalt. Sie machte mir unmissverständlich klar, dass sie nur eines interessierte: »Falls irgendjemand es wagen sollte, den Großfürsten Paul einen Bankert zu nennen, möchte ich das sofort erfahren.«
Katharina lag im Bett, bei ihr Bijou. »Bist du es, Warenka?«, fragte sie, als ich eintrat. Es klang verwaschen und schleppend – sie hatte Laudanum genommen. »Hast du etwas für Bijou? Er hat die ganze Zeit auf dich gewartet.« Bijou stupste mit seiner feuchten Schnauze auffordernd meine Hand. Ich schob ihn beiseite.
»Armer kleiner Bijou. Nichts hat sie ihm mitgebracht, die böse Warenka«, murmelte Katharina und hob das Hündchen hoch. »Wie kann man nur so gemein sein?«
Sie lächelte dem Hund zu, der hilflos mit den Beinchen in der Luft tappte, er blickte sie mit großen staunenden Augen an und wartete ergeben, dass sie ihn wieder absetzte. »Geh nie zu der gemeinen Warenka«, gurrte sie. »Bleib bei mir.«
Das Bett roch nach Kampfer. Auf dem Boden lagen in einem unordentlichen Haufen Katharinas Unterröcke. Offenbar hatte sie die Zofen aus dem Zimmer gescheucht.
»Ihr Sohn hat den ganzen Tag ganz ruhig und zufrieden geschlafen«, sagte ich. Ihr Unterrock war schmutzig und an mehreren Stellen zerrissen. Ich nahm mir vor, ein ernstes Wort mit den Zofen zu sprechen.
Katharina setzte das Hündchen ab. Es leckte an ihrem Nacht
hemd, auf dem Milchflecken waren. Sie ließ den Hund gewähren.
»Die Ammen wechseln einander alle zwei Stunden ab«, sagte ich. »Sobald das Kind zu schreien anfängt, nehmen sie es auf den Arm. Die Kaiserin sitzt neben der Wiege. Es ist sehr warm im Raum, es wird durchgehend geheizt. Der kleine Paul hat eine Bettdecke aus Satin mit Baumwollfüllung und noch eine zweite aus rosa Samt, die mit Hermelin gefüttert ist.«
Ich hob die Unterröcke auf, strich sie glatt und legte sie auf einen Stuhl. Ich fuhr mit dem Finger über das Nachttischchen, um zu überprüfen, ob die Mädchen abgestaubt hatten.
»Sie tragen ihn zu viel herum«, murmelte Katharina.
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