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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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trocknen. Jetzt stand ich in meinem eng geschnürten Galakleid neben meinem Mann und dachte darüber nach, was im kommenden Jahr wohl werden würde. Igors Versetzung war endlich genehmigt worden, bald würde er seinen Marschbefehl erhalten und dann lange von uns getrennt sein. Darja wusste noch nichts davon.
    Wieder einmal hatte Katharina die Kaiserin gebeten, einem öffentlichen Ereignis fernbleiben zu dürfen. Sie hatte die Erlaubnis erhalten, allerdings hatte sich Elisabeth einige sarkastische Bemerkungen nicht verkniffen. »Was für ein Getue!«, hatte sie zu mir gesagt. »Ich weiß gar nicht, was sie hat. Sie wird doch wohl
nicht glauben, dass sie schlecht behandelt wird, oder?« Mir krampfte sich der Magen zusammen, wenn ich nur daran dachte.
    Strahlend in all ihrer Pracht ließ die Kaiserin ihre Blicke über die Hofgesellschaft schweifen. Iwan Iwanowitsch Schuwalow stand neben ihr und flüsterte hin und wieder mit ihr. Ich sah, wie er ihre Hand küsste und sie triumphierend grinsend an seine Brust drückte. In den letzten Wochen hatte er ein recht zurückgezogenes Leben geführt und immer darauf geachtet, laut und deutlich den kaiserlichen Erben zu lobpreisen, all den Dummköpfen zum Hohn, die glaubten, der Stern der Schuwalows sei am Verblassen. Einer dunkeläugigen Schönheit, die ihn im Auftrag des Kanzlers verführen sollte, hatte er eine Abfuhr erteilt. »Bleib mir vom Leib«, hatte er ihr gesagt. »Und dem, der dich geschickt hat, kannst du ausrichten: Es ist aussichtslos.«
    Um Mitternacht wurde ein Feuerwerk abgebrannt, wie Sternschnuppen sausten Raketen über den Himmel, wirbelnde Feuerräder versprühten ihre Funken. Man goss geschmolzenes Wachs in kaltes Wasser und versuchte dann aus der Form oder dem Schattenwurf der so entstandenen Gebilde zu erraten, was das neue Jahr bringen würde. Der Kaiserin ein Schwert, dem Großfürsten ein Hufeisen, mir einen Brief.
    Krieg? Eine Reise? Gute Nachrichten? Oder schlechte?
     
    Nach Mitternacht bat die Kaiserin den Kronprinzen, den Ball zu eröffnen. Sie war sichtlich erfreut, als er Gräfin Woronzowa auf die Tanzfläche führte. Das Fräulein kicherte jedes Mal entzückt, wenn Peter sie ansah.
    Ich tanzte und trieb mich in den Vorzimmern herum, wo Orden klimperten und Lachsalven dröhnten, und sammelte allerlei Klatsch, den ich am nächsten Tag der Kaiserin weitererzählen konnte. Gräfin X war in Ohnmacht gefallen und mit Riechsalz wiederbelebt worden. Madame Y platzte aus allen Nähten. Prinzessin Z konnte noch so schicke Kleider tragen, sie sah immer wie ein Bauerntrampel aus.
    Katharina wartete in ihrer Suite, aber Sergej Saltykow hatte nicht vor, zu ihr zu gehen. Er tanzte zweimal hintereinander mit Prinzessin Lenskaja. Dann sah ich ihn zusammen mit Fürst Naryschkin hinausgehen. »Ich glaube, die Herren sind ein bisschen angeheitert«, flüsterte eine Zofe mir zu.
    Der Gedanke, dass Katharina immer noch allein war und immer noch glaubte, Sergej würde kommen, war mir unerträglich. Ich stahl mich davon und klopfte an ihre Tür. Sie öffnete prompt, zu prompt. Ihr französischer Morgenmantel aus blauer Seide stand offen, sodass der Ansatz ihres Busens freilag. Ein leichter Duft nach Birkenblättern aus der banja hing in der Luft.
    »Ach, du bist es, Warenka«, sagte sie tonlos. Ich nahm mir vor, zu überprüfen, wie viel Laudanum noch in dem Fläschchen war.
    Draußen heulte der Wind, Eisblumen bedeckten die Fensterscheiben. Von der Festung her donnerten Kanonenschüsse.
    Meine Mutter achtete immer darauf, wer im neuen Jahr als erstes über unsere Schwelle trat. Es sei ein Vorzeichen, sagte sie. Wenn der Besuch ein dunkelhaariger Mann war, verhieß das Glück im neuen Jahr. Eine Frau war immer ein böses Omen.
    Ich dachte: Vergiss Sergej. Er taugt nichts.
    »Darf ich hier bleiben?«, fragte ich.
    »Wenn du willst.« Sie schaute weg.
    Ich führte sie zum Kamin, nötigte sie, auf dem Teppich davor Platz zu nehmen. Bijou sah uns müde an, dann rollte er sich neben ihr zusammen.
    »Ich weiß noch genau, wie es war, als ich ihn zum ersten Mal sah.« Sie sprach langsam, wie in Gedanken. »Bei den Ställen. Ich kam gerade von einem langen Ritt. Das Pferd blieb stehen und wieherte. Sergej beugte sich über irgendetwas, das der Stallbursche ihm zeigte. Dann richtete er sich auf und sah mich an. Es war nur ein Moment, aber ich wusste, dass er es wusste.«
    Die Liebe war wie eine Krankheit, die in ihrem Körper wütete. Wenn jetzt die Tür aufgegangen und Sergej

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