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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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»Es ist nicht gut für ein Baby, wenn es immer in den Schlaf gewiegt wird.«
     
    Sergej Saltykow kehrte nach Sankt Petersburg zurück. Ich sah ihn im Vorzimmer der Kaiserin warten. Er war nicht gekommen, weil er etwa Sehnsucht nach Katharina gehabt hätte.
    »Bitte, Warenka«, sagte Katharina. »Er weiß, dass ich beobachtet werde, und will mich nicht kompromittieren. Richte ihm aus, dass ich mich irgendwo außerhalb des Palasts mit ihm treffen kann. Ich muss ihn sehen, Warenka. Bringe ihm eine Nachricht von mir.«
    Mir wurde eng in der Brust. »Nichts Schriftliches«, sagte ich. »Ich werde mit ihm sprechen.«
    Ich fand Sergej Saltykow in der Wachstube, wo er einem jungen Offizier Kartentricks vorführte. Ein prahlerisches Grinsen im Gesicht, eingehüllt in einen Geruch nach Wodka, Schnee und Rauch, als hätte er nur wenige Minuten zuvor noch zusammen mit irgendwelchen Freunden nach einer winterlichen Jagdpartie an einem Feuer gesessen, deutete er auf den Stapel Karten vor sich. Der Offizier deckte die oberste Karte auf und grunzte anerkennend: Es war ein Ass.
    »Könnte ich Sie kurz sprechen, Monsieur Saltykow?«, fragte ich. Er schaute auf. Ich spürte seinen Blick auf meinem Dekolletee.
    »Entschuldigen Sie mich einen Moment, Grigori Grigorjewitsch?« Er stand auf und ging mit mir hinaus auf den Flur.
    »Sie wartet auf Sie«, sagte ich.
    »So?«
    Er legte seine Hand auf meinen Arm, dann fühlte ich seine Finger an meinem Hals entlangstreicheln. Sergej Saltykow glaubte, keine Frau könne ihm widerstehen.
    »Und warum verkriecht sie sich dann in ihrem Zimmer? Ich hatte gehofft, sie beim letzten Ball zu sehen.«
    Katharina würde mich jedes seiner Worte, alle die Ausflüchte, die er vorbrachte, wiederholen lassen. Sie wollte hören, wie sehr er unter der Trennung litt, dass er die Eifersucht des Großfürsten fürchtete, dass er sie nicht in Gefahr bringen wollte. »Wem sieht das Baby denn ähnlich?«, fragte sie oft. »Gibt es irgendjemanden, der andeutet, es könnte nicht von Peter sein? Ist das der Grund, warum Sergej mich nicht sehen will?«
    Sie wusste natürlich, was passieren konnte, wenn auch nur der kleinste Zweifel an der legitimen Geburt ihres Sohnes laut wurde. Irgendein Betrüger konnte daherkommen und behaupten, er sei der vergessene Zar, der wahre Nachkomme Peters des Großen, er konnte die Armee auf seine Seite bringen, wenn er sie davon überzeugen konnte, dass der Großfürst Paul Petrowitsch nur ein Bastard war. Und trotzdem wollte Katharina unbedingt ihren Geliebten wiedersehen. Die Leidenschaft war stärker als alle Vernunft.
    »Sie ist jetzt allein«, sagte ich. Aus einem der Räume hörte ich Igors Stimme Kommandos erteilen. »Ich bringe Sie zu ihr. Niemand wird uns sehen. Bitte.«
    »Ich bin nicht Herr über meine Zeit und auch nicht über meine Gefühle«, erwiderte er. »Richten Sie das der Großfürstin aus, Warwara Nikolajewna. Es ist besser, wenn sie Bescheid weiß.«
     
    Die Wahrsagerinnen auf den Straßen von Sankt Petersburg verwiesen gerne auf die doppelte Fünf der Jahreszahl 1755. Sie be
deutete Hoffnung, Mut zu neuen Erfahrungen. Fünf ist die Abenteurerin unter den Zahlen, sagten sie, die bis an die Grenzen der Welt vorstoßen will. Fünf Sinne hat der Mensch. Die Fünf sehnt sich nach Freiheit.
    Bevor die Feierlichkeiten begannen, segnete die Kaiserin – in einem Kleid, das vor Diamanten und Gold nur so starrte – den kleinen Paul und schenkte ihm einen großen Kristallanhänger. Wenn die Sonne darauf schien, würde er in allen Regenbogenfarben blitzen und die Augen des Kindes erfreuen.
    Elisabeth hatte beschlossen, das neue Jahr im Bernsteinzimmer zu begrüßen. Sie wolle, so verkündete sie, noch einmal die heilenden Kräfte des Bernsteins fühlen, bevor Monsieur Rastrelli im Zuge der Umbauarbeiten die kostbaren Wandverkleidungen demontieren und nach Zarskoje Selo bringen ließ.
    Im Licht von fünfhundert Kerzen schimmerten die Wände des Bernsteinzimmers, das der König von Preußen Peter dem Großen geschenkt hatte, in Gold- und Brauntönen. Es roch nach Parfüm, Schnupftabak und Spirituosen. Eine Schar von Lakaien drängte sich an der Tür, die auch das kleinste Stäubchen Sägemehl, das einer der Gäste an den Schuhen von einem anderen Saal hereintrug, sogleich wegfegten. Darja hatte mir wie gebannt zugesehen, als ich mich für den Ball angekleidet hatte. Ich hatte ihr versprechen müssen, dass sie die Blumen an meinem Mieder hinterher bekommen würde, um sie zu

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