Der Winterpalast
sind, Barbara. Er will eine aufgeklärte Staatsführung und ein Ende der Korruption. Er ist nicht allein, seine Onkel, die ganze Familie Czartoryski und ihr Anhang unterstützen ihn. Darum ist er hier in Sankt Petersburg, um sich ein Bild davon zu machen, was möglich ist.«
Damit das Personal nicht verstand, was wir redeten, benutzten wir Codenamen. Die Kaiserin war »das große Hindernis« oder »Gestern«, Katharina hieß Colette, Stanislaw »Le Cordon Bleu«,
der Großfürst »der Soldat«, der Kanzler »der alte Fuchs« oder einfach »der Teufel«. Der Ausdruck »der Traum« stand für ein starkes Polen, das in enger, vertrauensvoller Partnerschaft mit einem aufgeklärten Russland seinen Weg ging.
In unseren Gesprächen schien alles möglich: dass Katharina Kaiserin wurde und ihren Einfluss geltend machte, sodass Stanislaw zum König von Polen gewählt wurde. Dass die beiden in Liebe verbunden ihre Länder in Einheit und Frieden regierten. Über Peter verloren wir kaum je ein Wort, als ob sein Rückzug in ein von niemandem beachtetes Privatleben bereits beschlossene Sache wäre. Im Geist sah ich ihn in Oranienbaum, wo er gemeinsam mit dem Fräulein lebte, Geige spielen und Modellfestungen bauen und seine Holsteiner drillen, ein Kind, dem man erlaubte, sich ganz seinen Spielen und Vergnügungen zu widmen.
Wie oft tranken wir in diesen kalten Wintertagen auf »den Traum«, ermutigt von Zeichen, die dafür zu sprechen schienen, dass die Vorsehung selbst auf unserer Seite war! Die Kaiserin welkte dahin. Ihre Kurzatmigkeit wurde immer schlimmer. Einmal sah ich ihren Leibarzt mit einer großen Schale, in der eine gelbliche Brühe schwappte, aus ihrem Schlafzimmer kommen. Ich wusste, was das zu bedeuten hatte: Offenbar hatte man ihr Flüssigkeit entnehmen müssen, weil ihr Bauch so angeschwollen war, dass man fürchtete, er werde bersten.
Katharina erzählte mir, dass Iwan Schuwalow zu ihr gekommen war und sie gefragt hatte, warum sie ihm aus dem Weg ging. »Lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, die tiefe Bewunderung, die ich für Sie hege, zum Ausdruck zu bringen«, hatte der Liebhaber der Kaiserin gesagt.
Stanislaw berichtete Sir Charles, dass der polnische König krank sei und also vielleicht bald ein neuer König gewählt werden würde. Die Onkel des Grafen hatten ihm aus Warschau geschrieben, er solle eine Rückkehr nach Polen in Erwägung ziehen; wenn man eine solche Gelegenheit nutzen wolle, dürfe man nicht lange zögern.
Im März zogen Wolken übers Meer und brachten noch einmal Schnee nach Sankt Petersburg. Sir Charles und ich redeten uns immer noch die Köpfe heiß, als wären wir zwei Schöpfergottheiten, die über den Plänen der neuen Welt saßen, die sie zu bauen gedachten.
Es war eine gefährliche Selbsttäuschung, wie ich jetzt sehe. Denn natürlich hatten wir keinerlei Macht, das Geschick derer, die uns so am Herzen lagen, nach unseren Wünschen zu formen.
In der ersten Märzwoche erklärte Monsieur Rastrelli, dass der alte Winterpalast, den er bis vor wenigen Monaten noch weitgehend hatte erhalten wollen, seiner großen Vision im Wege stand. Die Decken waren zu niedrig, die Fundamente zu schwach. Wenn er die Erwartungen, die an ihn gestellt wurden, erfüllen wollte, musste er das alte Gebäude abreißen.
»Ich brauche noch ein Jahr«, sagte er. Zwei seiner Leute trugen ein Modell des Neubaus herein. Er wies auf die Fassade, um die Aufmerksamkeit der Kaiserin auf die großartigen Fenster zu lenken, die er vorgesehen hatte. »Eine beachtliche Verzögerung, gewiss, Majestät.« Wachsam beobachtete er das Gesicht der Kaiserin. »Vor allem aber eine unumgängliche Notwendigkeit.«
Monsieur Rastrelli bat nicht lediglich um mehr Zeit, vielmehr bat er Elisabeth darum, auf russischem Boden ein Bauwerk schaffen zu dürfen, das Versailles in den Schatten stellen, das jeden Betrachter in Staunen versetzen würde. Quadraturmalerei würde die Räume grenzenlos erweitern, flache Decken in Kuppeln, Wände in lichtdurchflutete Galerien verwandeln. Skulpturen würden Bewegung in Stein festhalten. Grandiose Szenen voller Sinnlichkeit und Leidenschaft auf Gemälden und Wandteppichen würden das Auge fesseln.
Überall goldene Pracht, strahlende Herrlichkeit, versprach er.
Die Arbeiten mussten im Winter nicht unterbrochen werden. Sobald der Rohbau stand, würden Öfen aufgestellt, sodass Mau
rer und Zimmerleute auch bei Frost mit den Innenarbeiten fortfahren konnten.
»Das edelste Juwel unter den
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