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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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zwar immer davon, dass sie ihn liebt, aber es ist keine wirkliche Liebe. Sie ist einfach noch jung. Sie möchte tanzen, sie braucht jemanden, der ihr sagt, dass sie hübsch ist.«
    Ich sah ihm in die Augen.
    Ich lächelte.
    Das hatte er mir immer eingeschärft: Wenn man lügt, muss man dem anderen in die Augen sehen und lächeln.
    Er war mir ein guter Lehrmeister gewesen.
    »Reden Sie mit ihr über die Liebe, so viel sie will, Warwara Nikolajewna, aber vergessen Sie nicht, sie immer wieder daran zu erinnern, dass ihr Mann nichts vom Regieren versteht. Die Kaiserin wird nicht ewig leben. Katharina ist für die Politik geboren, und das weiß sie auch.«
    »Sagen Sie ihr, ich bin auf ihrer Seite.«
    »Sagen Sie ihr, ich warte nur auf ein Zeichen von ihr.«
    »Machen sie ihr klar, dass sie mich braucht.«
    Umhüllt von Tüll und Spitzen und Bändern hielt ich den Fächer vor meinen Mund und flüsterte, dass ich alles tun wollte, was er verlangte. Dann eilte ich davon.
     
     
    Da Sir Charles in Ungnade gefallen war und nicht mehr bei Hof erscheinen durfte, brauchte er jemanden, der als Vermittler fungierte, wenn er dem Kanzler oder Katharina etwas mitzuteilen
hatte. Ich meinerseits war daran interessiert, den Kontakt mit ihm nicht zu verlieren, denn die Kaiserin lechzte nun, nachdem sie ihn aus ihrem Gesichtskreis verbannt hatte, nach Informationen und Klatsch über ihn, die sie in ihrem Hass bestätigten. So kam es, dass ich der britischen Botschaft häufig diskrete Besuche abstattete.
    Unsere ganz private russisch-britische Allianz, so nannten wir es.
    Die Stunden, die wir zusammen verbrachten, waren für mich Atempausen in hektischer Zeit, denn zumindest in einem Punkt konnte ich ihm absolut vertrauen: Er war ebenso sehr wie ich daran interessiert, die Geheimnisse von Katharina und Stanislaw zu hüten. Im Sawronski-Palais in der Großen Perspektivstraße, das er gemietet hatte, saßen wir, bedient von Lakaien in Livree, die Speisen und Getränke brachten, in aller Gemütlichkeit beisammen und redeten.
    Wie sich zeigte, hatte er sich gründlich über mich informiert, denn er ließ öfter Bemerkungen über Igors Karriere beim Militär und über seine Zukunftsaussichten einfließen. »Vielleicht wird er eines Tages noch Feldmarschall, wer weiß?«, sagte er etwa im Plauderton.
    Wenn ich Sir Charles zuhörte, war mir immer zumute, als spräche ein Prophet zu mir, der mich aufforderte, mit ihm auf den Gipfel eines Berges steigen. Dort eröffnete sich dann ein Blick in ungeahnte Ferne, es war, als sähe ich vor mir all die Straßen und Wege, die ich einschlagen konnte.
    »Die Großfürstin wird nicht ewig Großfürstin bleiben, Barbara«, sagte er. Auch er nannte mich jetzt bei meinem polnischen Namen. »Aber sie wird immer Freunde brauchen.«
    Der Hof von Sankt Petersburg sei nur einer der Spieler am Schachbrett Europas, meinte er. Russland sei wie Lissabon vor dem Erbeben – auf der Oberfläche gingen die Menschen nichtsahnend ihren täglichen Geschäften nach, aber im Untergrund verschoben sich ungeheure Kräfte, die schon bald mit zerstörerischer
Gewalt hervorbrechen würden. Auch in Russland konnten Dinge passieren, die jetzt noch niemand voraussah.
    »Das Land Ihres Vaters braucht einen klugen Herrscher, damit nie wieder Polen ihr Land verlassen und anderswo ihr Glück suchen müssen.«
    Er wusste, wie er sprechen musste, um mein Herz zu treffen.
    Katharina, Kaiserin von Russland – Stanislaw, König von Polen.
    Manche Träume sind verführerischer als die Liebe.
    Wir sprachen kaum je von uns selbst bei diesen Begegnungen; immerhin brachte Sir Charles mich dazu, ihm zu erzählen, wie ich gegen meinen Willen verheiratet worden war, und er erwähnte, dass es eine Lady Frances gab, mit der er allerdings nur in brieflichem Kontakt stand, so als wären sie eher Geschäftspartner als Eheleute. Ungarischer Rotwein funkelte in den geschliffenen Kristallgläsern, wenn wir auf unsere gemeinsamen Hoffnungen und Ziele anstießen.
    Auf die künftige Kaiserin!
    Auf den künftigen König!
    Auf ihre Freundschaft!
    Auf ihre Liebe!
    Seinen »politischen Ziehsohn«, hatte Sir Charles Stanislaw genannt. Bei seiner Geburt hatte Saturn im Aszendenten gestanden. Die Konstellation verhieß die Wiederkehr des Goldenen Zeitalters, die Überwindung aller Hindernisse. Einige hatten eine Krone über seinem Kopf schweben sehen, eine doppelte Krone.
    »Stanislaw ist kein Träumer. Er weiß, dass die Möglichkeiten Ihres Heimatlandes begrenzt

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