Der Winterpalast
nichts anderes tun, als uns in unser Schicksal zu fügen.
Wir standen unter Beobachtung. Wir mussten weiter unsere Rollen spielen.
Stanislaw ließ verbreiten, er sei krank, und blieb zu Hause. Katharina und Peter gingen zu Lew Naryschkins Hochzeit und lachten schallend, als Graf Nebalsin freudestrahlend erzählte, dass Bernardi ihm an dem Tag, bevor er verhaftet worden war, eine Halskette geliefert hatte. Was für ein Glück – jetzt brauchte er den Juwelier nicht zu bezahlen!
Erst am übernächsten Tag fand sich die Kaiserin wieder in ihrem Schlafzimmer ein. Sie nahm keine Notiz davon, dass die Teppiche wieder in frischen Farben leuchteten, sie verlangte nicht, dass ich ihr die Füße massierte. Als es Abend wurde, sagte sie, ich könne jetzt gehen. In Zukunft werde Gräfin Schuwalowa ihr nachts Gesellschaft leisten.
Untertags ging ich meinen Pflichten nach, und in den Nächten schmiegte ich mich eng an meine Tochter. Die Großfürstin und ich redeten wenig und nur über ganz triviale Dinge, wenn wir uns trafen. Eine Woche nach Bestuschews Verhaftung begegneten wir einander auf dem Korridor. Als sie an mir vorbeiging, sagte sie leise: »Es ist nicht so schlimm, wie ich gefürchtet hatte.«
Ich blieb stehen.
Katharina schickte die Ehrendame, die sie begleitete, weg.
Sie hatte zwar nur sehr vage Neuigkeiten – aber doch waren sie tröstend.
Katharina hatte Fürst Trubezkoj, der als Generalprokurator die Untersuchungen der Strafverfolgungsbehörden zu leiten hatte, gefragt, was man dem Kanzler vorwarf. Den alten Herrn verband eine besondere Sympathie mit der Großfürstin, seit er erfahren
hatte, dass sie geweint hatte, als die Nachricht vom Tod seines jüngsten Sohnes bei Groß-Jägersdorf sie erreichte.
»Die Schuwalows haben ihn verhaften lassen«, antwortete er. »Und ich soll jetzt einen guten Grund dafür finden.«
Die Nachricht vom Kanzler war in einer Schnupftabaksdose versteckt. Der Bote bestand darauf, sie der Großfürstin persönlich auszuhändigen. Er hatte sie nicht in ihrer Wohnung angetroffen und die Dienstboten nicht fragen wollen, wo sie war. Man hatte ihn instruiert, dass er sich auch an mich wenden konnte, darum war er zu mir gekommen.
Ich brachte ihn in die Kapelle des Palasts. Katharina verneigte sich gerade tief vor der Ikone der Jungfrau von Kasan und berührte nach orthodoxer Sitte mit den Fingern der rechten Hand den Boden.
Der Bote drückte ihr die Tabaksdose in die Hand. Sobald er weg war, zog sie die Nachricht, die unter dem doppelten Deckel versteckt war, hervor und las sie.
Ich sah ihr an, wie erleichtert sie war.
»Der Kanzler hatte Zeit genug, seine Papiere zu verbrennen, bevor man ihn festnahm, Warenka«, sagte sie leise. »Die Schuwalows haben nichts gegen ihn in der Hand. Es gibt keine Beweise, nur Klatsch.«
Sie rollte das Zettelchen zusammen und zündete damit eine Kerze für die Gottesmutter an.
Ich nickte, aber die Anspannung in meinem Gesicht löste sich nicht. Ich wusste, dass auch bloßer Klatsch einen Menschen vernichten konnte.
»Keine Angst, Warenka.« Katharina drückte meine Hand. »Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.«
An diesem Abend konnte jeder, der an der Tür zur Suite der Großfürstin vorbeiging, ihr Schluchzen und Weinen hören. Damen ihres Gefolges hasteten aufgeregt durch die Gänge, um Laudanum und Riechsalz zu besorgen. Die Großfürstin hatte Ohn
machtsanfälle, hörte ich. Die Großfürstin verlangte nach ihrem Beichtvater.
Jemand verleumde sie, stieß Katharina unter Tränen hervor, als der Ehrwürdige Vater Semjon kam. Jemand versuche einen Keil zwischen sie und ihre Wohltäterin, die Kaiserin, zu treiben.
Sie sprach in abgerissenen Sätzen, die Stimme heiser, immer wieder von wildem Schluchzen unterbrochen. »Wenn nur Ihre Majestät mich anhören würde … ich kann so nicht weiterleben … hinaus in die Kälte … in einer Schneewehe liegen und einschlafen … Erfrieren ist ein sanfter Tod, sagt man …«
Bevor der Ehrwürdige Vater wieder ging, segnete er sie und befahl den Ehrendamen, für die verzweifelten Seelen zu beten.
Spät in der Nacht am 13. April hörte ich, wie die Kaiserin ihre Hofdamen und Zofen wegschickte.
Ich dachte an Katharina, die darauf wartete, dass die Kaiserin sie zu sich rufen ließ. Ich schaute hoch zur Decke. Selbst in den Räumen der Kaiserin hatten die Handwerker nicht allzu sorgfältig gearbeitet: In der Decke klafften überall Risse.
Im Dienstbotengang tauchte ich ein Taschentuch
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