Der Winterpalast
Bestuschews Papieren zwei Briefe von Stanislaw gefunden. Es waren formelle Schreiben, die keinerlei brisante Informationen enthielten, aber sie erinnerten die Kaiserin daran, dass der Kanzler es gewesen war, auf dessen Betreiben Graf Poniatowski als Botschafter nach Sankt Petersburg geschickt worden war.
Man hatte Stanislaw mitgeteilt, dass er das Land verlassen musste, sagte Katharina.
»Wann?«, fragte ich.
»Bis Ende August.«
»Und wenn er von seinem Amt zurücktreten würde, dürfte er dann bleiben?« Ich wusste, dass das nicht möglich war. Armer Stanislaw , dachte ich.
Katharina setzte mit leerem Blick Bijou auf sein Samtkissen.
Ich habe noch ihre Stimme im Ohr. Es klang etwas steif, als hätte sie die Antwort immer wieder bis zum Überdruss geübt: »Die Kaiserin hat keine Wahl, Warenka. Die Kaiserin muss an die Zukunft denken.«
Im Frühling begann der frische Stuck an den Decken des Winterpalasts abzubröckeln und musste erneuert werden. Der lang ver
sprochene Umzug konnte wieder nicht stattfinden. Die Kaiserin tobte. Rastrelli war ein nichtsnutziger Lügner, seine Arbeiter lauter Gauner, die stahlen wie die Raben. Wochenlang lebte ihre Umgebung in steter Angst, ihren Zorn zu reizen, wir gingen alle auf Zehenspitzen und wagten kein unbedachtes Wort. Katharina und Peter waren erleichtert, als sie in ihre Sommerresidenz in Oranienbaum umziehen konnten. Ich hatte weniger Glück und musste die Kaiserin nach Zarskoje Selo begleiten.
Eine Zeit lang hallte das Echo von Bestuschews Sturz noch nach, obwohl die Verhöre nichts Belastendes erbrachten. Der Verdächtige wurde nicht gefoltert. Man fürchtete, er würde zu viel ausplaudern, spotteten böse Zungen.
Auch in Apraxins Fall waren die Monate dauernden Untersuchungen ergebnislos geblieben. Der Vorwurf des Hochverrats konnte weder erhärtet noch widerlegt werden, es gab nichts als Verdächtigungen, denen man freien Lauf ließ. Dann, Anfang August, starb der Feldmarschall an einem Schlaganfall. Bestuschew wurde aus der Haft entlassen und auf sein Landgut verbannt. Es war ihm verboten, mit irgendjemandem in der Hauptstadt Kontakt aufzunehmen.
In der zweiten Augustwoche verließ er Sankt Petersburg. Niemand wagte es, von ihm Abschied zu nehmen. Sein Name sollte nie mehr in Gegenwart der Kaiserin erwähnt werden. Es war nicht die erste Verbannung dieser Art und sollte nicht die letzte bleiben.
Nachdem Graf Poniatowski seinen Besuch bei der Kaiserin mehrere Male wegen Krankheit verschoben hatte, fand er sich schließlich in der dritten Augustwoche in Zarskoje Selo ein, um sich zu verabschieden und seinen tief empfundenen Dank für die russische Gastfreundschaft, die er genossen hatte, zum Ausdruck zu bringen.
Die Kaiserin schenkte ihm eine mit Saphiren und Rubinen besetzte Schnupftabaksdose mit ihrem Bildnis auf dem Deckel und
wünschte ihm eine sichere Heimreise. Noch am selben Tag fuhr Stanislaw nach Peterhof, wo ihn Katharina erwartete. Sie hatte sich aus Oranienbaum fortgestohlen, um noch ein paar Tage allein mit ihrem Geliebten zu verbringen. Sie wohnten in dem Pavillon Monplaisir am Meer.
Ich sah Graf Poniatowski an dem Morgen seiner Abreise in der sächsischen Botschaft in Sankt Petersburg.
Es war der 31. August, ein schöner Tag, wenn auch kalt. Im Hof prüften zwei Diener, ob das Gepäck auf dem Dach der Kutsche auch gut festgezurrt war. Ein dritter breitete eine Decke über die Sitzbank.
Ich ging an ihnen vorbei ins Botschaftsgebäude.
Stanislaw erwartete mich im Salon. Das Porträt von August III . war noch an seinem Platz. Dunklere Flecken an der Wand bezeichneten die Stellen, an denen Bilder aus Stanislaws Sammlung gehangen hatten.
»So hatte ich mir den Abschied nicht vorgestellt«, sagte er.
»Nein«, antwortete ich. Ich musste gegen den Drang ankämpfen, ihm die Hand auf die Stirn zu legen, wie ich es immer bei Darja tat, um zu fühlen, ob sie Fieber hatte. Er trug das feine Batisthemd, das ihm Katharina geschenkt hatte. Am Kragen war der Buchstabe S eingestickt. Niemand außer ihm nannte sie Sophie.
Ich hatte ihm Geschenke mitgebracht: einen Korb voller Gläser mit eingemachten Früchten und ein Bild, das Darja für ihn gezeichnet hatte; darauf war ein vornehm gekleideter gestiefelter Kater zu sehen, der sich vor einer Königin verbeugte.
»Richten Sie Darja aus, dass ich es in Gold rahmen lassen werde, sobald ich in Warschau bin.« Seine Stimme klang angestrengt.
»Ich werde es ihr sagen.«
»Ich komme wieder, Barbara.
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