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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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stockte –
offenbar überlegte sie, wie weit sie in ihrer Großmut gehen konnte. »Jeden zweiten Tag.«
    Erst jetzt, da die Spannung wich, wurde mir wieder bewusst, wo ich mich befand. Ich bemerkte den Schmutz an meinem Ärmel, fühlte die Kälte in meinen erstarrten Fingern, hörte Mäuse unter den weißen Leintüchern, die zum Trocknen aufgehängt waren, dahinhuschen.
    Als ich wieder durch den Spalt schaute, war der Großfürst nicht mehr da. Katharina erklärte der Kaiserin etwas, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagte. Ein- oder zweimal glaubte ich Stanislaws Namen zu hören.
    Die Kaiserin lachte.
     
    In der nächsten Zeit wurde Katharina noch öfter nachts ins kaiserliche Schlafzimmer bestellt, immer ganz plötzlich, ohne Vorwarnung. Elisabeth misstraute wohlüberlegten Reden, sie wollte spontane Gefühlsausbrüche, Tränen, Geständnisse bei Kerzenlicht, Schwüre auf heilige Ikonen. Katharina gewöhnte sich an, in ihren Kleidern zu schlafen, die Schuhe neben dem Bett, auf dem Tisch eine Schüssel mit kaltem Wasser, damit sie sich den Schlaf aus den Augen waschen konnte, wenn sie geweckt wurde.
    Ich wagte es nicht, noch einmal zum Dachboden hinaufzusteigen. Während der folgenden Tage suchte ich Katharina seltener auf, aber wenn ich sie sah, wirkte sie immer ruhig und gefasst. Wir redeten kaum über etwas anderes als über unsere Kinder und Bücher. Nur einmal erwähnte sie Sir Charles. Er schrieb ihr nicht, aber sie wusste, dass er in London eingetroffen war, denn sie hatte ein Briefchen von seiner Tochter erhalten, die sich artig für die herrlichen Geschenke bedankte, die Katharina dem Botschafter für sie mitgegeben hatte. Sir Charles gehe es nicht gut, teilte die Tochter mit, er sei vollkommen erschöpft nach seiner langen Reise und könne kaum eine Feder halten.
    Von Stanislaw sprachen wir nicht.
    Ich wusste nicht, ob er versucht hatte, mit ihr Kontakt aufzu
nehmen. Als ich einmal an der sächsischen Botschaft vorbeifuhr, glaubte ich ihn an einem Fenster im Obergeschoss stehen zu sehen. Ich ließ den Kutscher anhalten und wartete eine Weile, falls Stanislaw einen Diener zu mir schickte, aber es kam niemand.
    Bald durfte ich im kaiserlichen Schlafzimmer wieder Elisabeth die Füße massieren. Das war ein gutes Zeichen. Nachdem ich sie mit etwas ausgewähltem Hofklatsch unterhalten hatte, kam ich auf die Gerüchte zu sprechen, die auf den Straßen umgingen. Der jähe Sturz des Kanzlers gab zu allerhand wilden Spekulationen Anlass. War er ein preußischer Spion? Oder stand er im Dienst der Briten? War er ein vertrottelter alter Mann, der sich eingebildet hatte, er könnte der Kaiserin die Zügel aus der Hand nehmen?
    Elisabeth hörte kaum zu. Sie drehte ihre goldenen Ringe, zog einen mit einem großen Smaragd ab, wog ihn in der Hand wie einen Würfel, den sie über den Tisch rollen lassen wollte, und betrachtete nachdenklich ihre Finger. So geschwollen, wie du gehofft hattest, sind sie noch nicht , schienen ihre spöttisch funkelnden Augen zu sagen.
    Einmal befahl sie mir, ans Fenster zu treten und ihr zu sagen, was ich sah. Eine Abteilung der Garde marschierte in Formation. Eine Kutsche fuhr vorbei.
    »Sonst nichts?«
    »Nein, Majestät.«
    Manchmal kam es mir so vor, als wären wir nicht allein, als wäre jemand hinter den Wandschirmen versteckt, die jetzt immer im Schlafzimmer standen, und lauschte. Aber ich sah nie jemanden.
    Bald trafen Nachrichten von der Front ein, die die Aufmerksamkeit der Bevölkerung vom Schicksal des Kanzlers ablenkten. Nachdem Apraxin seines Kommandos enthoben war, errangen die Truppen neue Siege über die Preußen und machten Europa deutlich, dass Russland eine Macht war, die nicht ignoriert werden durfte.
     
    Katharina stand wieder in der Gunst der Kaiserin, und das blieb nicht unbemerkt bei Hof. Man grüßte sie mit tieferen Verbeugungen und breiterem Lächeln und erkundigte sich so laut nach ihrer Gesundheit, dass alle es hören konnten.
    An einem stillen, grauen Morgen Anfang Mai kam ich in ihr Zimmer. In wenigen Tagen würde das Eis auf dem Ladogasee aufbrechen, und die ganze Stadt würde ausrücken, um das Schauspiel zu genießen, wie die Eisschollen sich auf ihrem Weg ins Meer unter Ächzen und Krachen auftürmten und übereinanderschoben.
    Katharina hielt Bijou in ihren Armen und ließ ihn ihre Hände lecken, den alten treuen Bijou, der kurzatmig keuchte, täglich klappriger wurde und schlecht roch.
    Sie hatte schlechte Nachrichten.
    Man hatte unter

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