Der Winterpalast
um Fassung bemüht, fort.
Der neue britische Botschafter erhielt die Verbindungen, die Sir Charles geknüpft hatte, aufrecht, und hatte Stanislaw informiert, allerdings war es nicht sehr viel, was er wusste: Bestuschew war seines Amts enthoben, verhaftet und einem Verhör unterzogen worden, in dem es um seine engen Beziehungen mit Feldmarschall Apraxin ging. Auch der Juwelier Bernardi, der Katharina Kurierdienste geleistet hatte, und ihr Russischlehrer Abarurow waren festgenommen worden.
War der Herr und Meister aller Spione in seinem eigenen Spiel geschlagen worden?
Starr vor Schrecken erwog ich fieberhaft, welche Folgen seine Verhaftung haben konnte. Mein Herz raste. Die Schuwalows waren nicht dumm; sie wussten, dass ich Katharinas Vertraute war. Und Bernardi hatte auch Briefe von mir geschmuggelt.
Katharina hatte keine Ahnung, was geschehen war, fuhr Stanislaw fort. Er hatte versucht, sie zu warnen, hatte sie aber nicht in ihrer Suite angetroffen. Sie sei beim Großfürsten, hatte man ihm gesagt. Da aber Peters Wohnung direkt neben der kaiserlichen Suite lag, hatte er nicht gewagt, dorthin zu gehen. Er wollte nicht, dass Katharina seinetwegen noch mehr Ärger bekam. Er drückte mir ein Briefchen in die Hand. Seine Finger fühlten sich feucht und kalt an. »Sie müssen sie warnen, Barbara«, bat er. »Gehen Sie schnell, bitte.«
Ich vereinbarte mit ihm, dass er in der sächsischen Botschaft auf Nachricht von mir warten sollte.
Ich steckte das Briefchen ein. Darja rief aus dem Nebenzimmer nach mir, aber ich hatte jetzt keine Zeit für sie. Mascha würde sich um sie kümmern.
Bevor wir uns trennten, legte Stanislaw seine Hand auf meinen Arm.
»Sagen Sie Sophie, es wird alles gut werden.«
Ich zwang mich dazu, ganz ruhig und gemessen zu gehen. Niemand sollte mir ansehen, wie panisch ich war. Ich musste daran denken, wie verächtlich die Schuwalows über die Berichte Apraxins gesprochen hatten. »Lass sie reden«, hatte Katharina gesagt. Sie hatte unrecht gehabt, das wusste ich jetzt. Sie hatte den Einfluss der Schuwalows auf die Kaiserin unterschätzt.
Auf meinem Weg durch den Korridor kam ich an alten Tapisserien mit Jagdszenen vorbei: ein Hirsch, in dessen Hals ein Pfeil steckte. Ein Bär, hoch aufgerichtet mit blutigen Tatzen, der verzweifelt versuchte, die Hunde, die sich in seinem Fell verbissen hatten, abzuschütteln. Durchs Fenster sah ich einen Fuhrkutscher, der ein großes Fass über den geräumten Weg durch den Schnee rollte und dazu eine Melodie pfiff. Vor dem Eingang zur Palastküche stand eine Bettlerin, das Gesicht mit Binden umwickelt, die nur einen schmalen Schlitz für die Augen freiließen, und wartete geduldig, dass man ihr ein paar Blini oder altbackenes Brot gab.
Ich dachte an das von Angst verzerrte Gesicht von Madame Kluge, ihre entsetzten Schreie, daran, wie man ihren schlaffen Körper zu dem Brettergerüst geschleift hatte.
Wann würden die Wachen mich abführen? Im Morgengrauen, damit niemand es sah. Niemand außer meinem Kind.
Vor der Tür zur Suite des Großfürsten kniff ich mir in die Wangen, damit ich etwas Farbe ins Gesicht bekam.
Die Großfürstin hatte sich mit ihrem Mann zum Frühstück
getroffen. Offenbar hatten sie irgendwelche offiziellen Dinge zu erledigen, denn auf dem Tisch lagen verschiedene Schriftstücke herum. Katharinas Gesicht hellte sich auf, als sie mich sah.
»Ah, Warenka. Was für eine angenehme Überraschung.«
Der Großfürst wischte Brotkrümel von seiner seidenen Weste. »Wir reden gerade über Lew Naryschkins Hochzeit. Haben Sie auch schon gehört, dass die Mutter der Braut zwanzig Fässer Austern bestellt hat?«
»Fünfundzwanzig.« Katharina lachte.
Ich trat zu ihr. Als Peter sich zu einem der Diener umdrehte, um ihm zu sagen, dass er noch Kaffee haben wollte, steckte ich ihr Stanislaws Nachricht zu.
»Meine Strümpfe sind schon wieder kaputt.« Katharina beugte sich hinunter, sodass die Tischplatte sie verdeckte. Ich sah, wie sie das Papier auffaltete und überflog, bevor sie es unter ihr Strumpfband schob.
Als sie wieder aufschaute, war ihr nichts anzumerken. »Wie geht es der süßen Darenka?«, fragte sie. »Darf sie mich im Sommer wieder in Oranienbaum besuchen kommen? Sag ihr, sie kann mir helfen, die Vögel zu füttern. Das wird ihr gefallen.«
Die Diener brachten ein Gedeck für mich. Hatte ich Lust auf Blini mit Kaviar? Gurken mit Honig? Katharinas Stimme klang ganz ruhig und gelassen.
Erst später, als wir in ihrer Suite
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