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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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waren, sah ich die weiß hervortretenden Knöchel ihrer krampfhaft geballten Fäuste.
     
    Eine Stunde lang waren wir damit beschäftigt, ihre Papiere zu verbrennen. Wir nahmen uns nicht die Zeit, sie zu sortieren, wir warfen alles ins Feuer – Briefe, Quittungen, literarische Arbeiten, Notizen zu ihrer Lektüre. Sie öffnete eine Schublade nach der anderen und räumte sie leer.
    Ich erkannte Stanislaws Handschrift wieder, aber noch öfter die von Sir Charles. Viele seine Briefe umfassten etliche Seiten. Katharina hatte sie allen meinen Warnungen zum Trotz aufbewahrt.
    Wie langsam Papier brannte! Voller Ungeduld sah ich zu, wie die Flammen an den Blättern leckten, sie erfassten, sie bräunten und endlich in hauchdünne schwarze Aschefetzen verwandelte, die ich mit dem Schüreisen zu Pulver zerstampfte.
    Stillhalten war das Beste, was Katharina jetzt tun konnte, entschieden wir. Nichts unternehmen, was aus dem Rahmen des Gewohnten und Erwarteten fiel. Sie würde wie geplant mit Peter zu Naryschkins Hochzeit gehen. Keine schriftliche Nachricht an Stanislaw, nur eine Botschaft, die ich ihm in aller Heimlichkeit zuflüstern sollte: Schweig still, koste es, was es wolle. Alles abstreiten, nichts verraten.
    »Sag ihm, er kann jetzt nichts tun, um mir zu helfen. Er soll nichts tun ohne meine ausdrückliche Anweisung. Sag ihm, er soll mir vertrauen, Warenka.«
     
    Ich eilte zur kaiserlichen Suite. Es kam mir so vor, als schaute der Posten an der Tür mich etwas irritiert an, als versuchte er sich zu erinnern, wer ich war.
    Ich bemühte mich, eine möglichst gleichgültige Miene zu machen.
    Die Zofen teilten mir mit, die Kaiserin sei nicht da. Sie sei mit Iwan Iwanowitsch Schuwalow weggegangen und habe das Kind mitgenommen. Mehr wussten sie nicht.
    Mir blieb nichts anderes übrig als zu warten, aber ich konnte nicht stillsitzen. Ich ließ die Kammermädchen den Kamin im kaiserlichen Schlafzimmer gründlich ausfegen, befahl den Dienern, die Teppiche zusammenzurollen und draußen auf dem Schnee auszuklopfen.
    Ich betete, die Kaiserin möge mich am Abend zu sich rufen, damit ich sie unterhielte. Ich wollte ihr die Geschichte von der Frau erzählen, die an einer bösartigen Geschwulst in der Brust litt und auf der Stelle geheilt wurde, als Xenia ihr die Hand auflegte, jene fromme Wundertäterin, die all ihren Besitz den Armen geschenkt hatte und nun barfuß und in Lumpen durch die Straßen der Stadt
ging. Dann wollte ich Bestuschews Namen erwähnen und beobachten, wie Elisabeth reagierte.
    Aber die Kaiserin kam nicht zurück. Am Abend schaute eine ihrer Ehrendamen vorbei, um ihre Kämme und Haarbürsten zu holen. Ich legte sie auf ein Silbertablett und stellte ein Töpfchen mit ihrer Gesichtscreme dazu. Die Hofdame nahm das Tablett und bemerkte, die Kaiserin werde in Graf Schuwalows Suite übernachten.
    Als sie gegangen war, setzte ich mich auf den Stuhl der Frisierkommode im Schlafzimmer. Mein Körper fühlte sich schwer wie Stein an. Aus dem goldgerahmten Spiegel starrte mein Gesicht mich an, verstört und fremd. Mein schwarzes Kleid war schmutzig von der Asche aus dem Kamin.
    Ich dachte an den Kanzler, der jetzt irgendwo gefangen gehalten und verhört wurde. Redete oder schwieg er? Ich dachte daran, wie ruhig Katharina gewesen war und an ihre geballten Fäuste.
    Der Stuhl knarzte, als ich aufstand.
    Ich ging in meine Wohnung, schritt durch die langen Korridore des Palasts, vorbei an all den Spiegeln, die mir mein eigenes Bild, das einer Frau in Trauer, zeigten.
     
    Die verschiedensten Gerüchte waren in Umlauf, die Skala reichte von plausibel bis lächerlich. Die Vorwürfe, die erhoben wurden, waren vage, aber ernst: Bestuschew hatte kaiserliche Befehle nicht korrekt ausgeführt, er hatte mit dem Feind konspiriert, er war des Hochverrats schuldig. Es wurde behauptet, er habe Apraxin befohlen, die Offensive gegen Preußen abzubrechen. Jemand hatte ihn angeblich sagen hören, die Kaiserin habe nur noch wenige Wochen zu leben und man müsse die Zukunft Russlands in jüngere Hände legen.
    Je nachdem, wem man Glauben schenken wollte, war Bestuschew von Katharina angestiftet worden, oder er hatte aus eigenem bösen Antrieb gehandelt. Er war gefoltert worden, oder er war nicht gefoltert worden. Man hatte belastende Papiere gefun
den, oder man hatte nichts gegen ihn in der Hand. Er hatte ein Geständnis abgelegt, oder er stritt alles ab.
    Immer wildere Gerüchte kamen auf, aber es gab keine weiteren Festnahmen.
    Wir konnten

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