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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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in einen Eimer mit Wasser. Dann zog ich meine Schuhe aus und schlich die schmale Stiege zum Dachboden hinauf. Durch die Fenster fiel genügend Mondlicht, sodass ich sehen konnte, wohin ich trat.
    Ich legte mich auf den staubigen Boden, das feuchte Taschentuch vor der Nase, damit ich nicht niesen musste, und rührte mich nicht. Durch einen Spalt sah ich hinunter ins kaiserliche Schlafzimmer. Auf der marmornen Platte des Tischs standen zwei Leuchter, Papiere lagen umher. Die Kaiserin saß in einem Lehnstuhl, einen Fächer in der Hand. Sie war nicht allein: Im Dunkeln, hinter Wandschirmen versteckt, die wohl eigens zu diesem Anlass arrangiert worden waren, duckten sich Gestalten. Die Schuwalows? War der Großfürst auch dabei?
    Es dauerte nicht lange, dann wurde die Tür geöffnet, und ein Soldat der Garde meldete die Großfürstin.
    Elisabeth ließ Katharina keine Zeit, sie zu begrüßen, sondern wies auf die Papiere, die über den Tisch verstreut lagen.
    »Was haben Sie dazu zu sagen?«, fragte sie.
    Katharina trat an den Tisch. Ihre Röcke raschelten.
    »Das sind meine Briefe«, antwortete sie, ohne zu zögern. Ihre Stimme klang vollkommen furchtlos.
    »Briefe an wen?«
    »An Feldmarschall Apraxin.«
    »Sie haben nicht das Recht, Briefe an einen General zu schreiben. Ich habe Ihnen ausdrücklich verboten, sich in politische Dinge einzumischen.«
    »Ich habe ihm nur zu seinem Sieg gratuliert, Majestät, und meine besten Wünsche für den weiteren Verlauf des Feldzugs zum Ausdruck gebracht.«
    »Bestuschew sagt, es habe noch andere Briefe gegeben.«
    »Das stimmt nicht. Es gibt keine weiteren Briefe.«
    »Soll ich ihn foltern lassen?«
    »Wenn Ihre Majestät es wünscht.«
    Ich hielt den Atem an. Den Leuten, die in den Kellern der Geheimkanzlei arbeiteten, standen viele Mittel zur Verfügung, Geständnisse zu erpressen. Der Chef der Behörde Alexander Schuwalow hatte damit geprahlt, dass seine Untergebenen die Kunst beherrschten, einen Delinquenten zu schlagen, ohne Spuren auf dessen Haut zu hinterlassen. Elisabeth konnte auch Katharina foltern lassen oder gar selbst mit Hand anlegen wie Peter der Große, der dem Henkersknecht die Knute entrissen hatte, um damit seinem eigenen Sohn den ersten Hieb zu versetzen.
    Hinter einem der Wandschirme regte sich jemand.
    Ich hörte Peters Stimme: »Glauben Sie ihr nicht, Majestät. Sie verdreht die Wahrheit, wie es ihr passt.«
    Was hatten die Schuwalows dem Großfürsten versprochen? Einen Triumph über seine Frau? Und jetzt fürchtete er, um diesen Triumph betrogen zu werden!
    Aufgeregt fuchtelnd kam er aus seinem Versteck hervor. »Elle
est méchante« , stammelte er und stampfte mit dem Fuß auf.
    Heimtückisch nannte er seine eigene Frau.
    Katharina fiel auf die Knie. »Ich missfalle Ihnen, meine Wohltäterin. Ich missfalle dem Großfürsten, meinem Mann. Sie sehen es selbst, Hoheit: Ich gehöre nicht hierher. Niemand an diesem Hof spricht mit mir, niemand traut mir, ich kann es niemandem recht machen. Ich kann nicht darauf hoffen, jemals Gnade vor Ihnen oder vor meinem Mann zu finden, nur das eine bleibt mir noch: Jeden Tag bete ich, dass Gott Ihre Majestät und meine Kinder gesund erhalten, dass er Russland den Sieg in diesem Krieg schenken möge. Lassen Sie mich zu meiner Familie zurückkehren und bei ihr den Rest meines verpfuschten Lebens verbringen. Das ist noch das Beste, was ich tun kann.«
    War es Peters peinlicher Auftritt, was den Ausschlag gab? Oder stimmte das Schauspiel der totalen Unterwerfung Katharinas die Kaiserin gnädig?
    Elisabeths Stimme klang plötzlich weicher. »Wie könnte ich Sie wegschicken? Wovon sollten Sie leben?«
    »Meine Verwandten werden mich schon bei sich aufnehmen. Ich werde keine großen Ansprüche stellen. Hier kann ich nicht bleiben.«
    »Sie haben zwei Kinder.«
    »Die sind in den besten Händen, Majestät. Und ich darf sie ja ohnehin nicht sehen. Bitte, lassen Sie mich gehen. Es ist am besten so.«
    »Sie werden nirgendwohin gehen. Sie sind hier zu Hause.«
    Peter gab ein ungläubiges Grunzen von sich und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Sie hat es geschafft , dachte ich, als ich sah, wie die Kaiserin Katharina huldvoll die Hand zum Kuss hinstreckte. Die Großfürstin hatte gewonnen: Sie würde von nun an wieder im kaiserlichen Schlafzimmer empfangen, zu Soireen und zum Kartenspiel eingeladen werden.
    Hinter den Wandschirmen räusperte sich jemand.
    »Sie können Ihre Kinder besuchen …« Die Kaiserin

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