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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Ich will bei ihr sein, wenn sie mich braucht. Das darf Katharina nie vergessen, ja?«
    Ich ging mit ihm hinunter zur Kutsche. Die Pferde wieherten, als sie ihn sahen. Er gab jedem einen Apfelschnitz.
    Der Kutschenschlag wurde geöffnet, die Trittleiter ausgeklappt.
    Wie kannst du ihr denn helfen? , dachte ich. W as kannst du für sie tun? Was kann sie mit deiner Liebe anfangen? Geh. Es wird leichter für sie, wenn du weg bist.
    Stanislaw stellte den Fuß auf die Trittleiter, eine glänzend schwarz polierte Stiefelspitze. Im Innern der Kutsche sah ich einen offenen Koffer voller Bücher, seine Reiselektüre.
    Am Ende konnte er sich die Frage doch nicht verkneifen. Manche Gedanken sind wie schmerzende Zähne, gegen die man zwanghaft immer wieder mit der Zunge drückt.
    »Sie möchte, dass ich wiederkomme, nicht?«
    »Ja«, log ich.
    Es stand mir nicht zu, Katharinas Karten aufzudecken.
    »Lassen Sie es mich wissen, wenn sich etwas ändert?«
    »Natürlich.«
    Ich wartete, bis die Kutsche auf die Straße hinausfuhr, dann ging ich zurück zum Palast. Ich glaubte, ich würde ihn nie wiedersehen. Ich konnte mir nichts anderes vorstellen, mir keine Zukunft denken, in der es möglich gewesen wäre.
     
    An den Straßenecken von Sankt Petersburg regnete es Münzen auf die Bettler, die Balladen über den Krieg und Spottlieder über die Preußen sangen. Auf dem Tatarenmarkt wurden Gemälde verkauft, deren Farbe noch feucht war: Schlachtenszenen und darüber schwebend, eingefasst in Medaillons, die Bildnisse der neuen Kriegshelden. Im Herbst 1758, nach der Schlacht bei Zorndorf, war Grigori Orlow einer dieser Helden.
    »Orlow?«, fragte die Kaiserin. »Sieht er gut aus?«
    »Ja, Hoheit.«
    »Groß?«
    »Ja.«
    »Ein Held?«
    Der Krieg war noch nicht vorbei, aber die Orlows waren in ihren Karrierehoffnungen bereits gründlich enttäuscht worden. »Andere haben es zum Major und zum Oberst gebracht, und Gri
gori ist immer noch Leutnant«, sagte Alexej verbittert, als er mich in meiner Wohnung besuchte. »Er versteckt sich vor seinen Gläubigern und leckt seine Wunden.« Er selbst war, nachdem sein Einsatz bei der kämpfenden Truppe beendet war, wieder zu seiner Stammeinheit, zum Ismailowski-Regiment, nach Sankt Petersburg zurückgekehrt. Er hatte nicht vor, sich noch einmal um eine Abkommandierung zur Front zu bemühen.
    »Leutnant Orlow hat den Adjutanten des Königs gefangengenommen«, berichtete ich der Kaiserin. »Obwohl er durch siebzehn Säbelhiebe verwundet war, blieb er auf dem Schlachtfeld. Aber dann kam es zu diesem Skandal.«
    »Was hat er denn angestellt, unser tapferer Ritter?«
    »Er hat die Geliebte seines Kommandeurs verführt, Prinzessin Kurakina, und ist mit ihr durchgebrannt. Aber weil er dann sein ganzes Geld verspielt hat, ist die Prinzessin zu ihren Eltern zurückgekehrt. Sein Bruder musste seine Schulden bezahlen.«
    Die Kaiserin lachte. »Erzähl mir mehr von ihm.«
    Ein Soldat, mutig und unbekümmert. Bärenstark – einer, der sich einem durchgehenden Pferd in den Weg stellt und es aufhält. Ein Mann, dessen Augen funkeln, wenn er einen Raum betritt, und trübe sind vor Überdruss, wenn er wieder geht.
    Genau die Sorte Mann, von der die Kaiserin so gerne reden hörte.
    »Gib ihm das.« Sie zog einen Ring mit einem kleinen Rubin vom Finger und drückte ihn mir in die Hand. Der Stein war nicht mehr als zweihundert Rubel wert.
    Die kaiserliche Aufmerksamkeit hatte ihre Grenzen. »Verdienste zählen nicht in der russischen Armee«, hatte Alexej gesagt. »Man muss Beziehungen haben oder Schmiergeld zahlen, nur so kommt man voran.«

Zehn
    1759-1761
    A m Morgen des 8. März wachte die Großfürstin Anna Petrowna schreiend auf. Sie wollte nicht trinken. Sie hörte nicht auf zu weinen, als die Ammen sie auf den Arm nahmen und herumtrugen, und als sie das Kind in sein Bettchen legten, ruderte es wild mit Armen und Beinen wie ein Käfer, der hilflos auf dem Rücken liegt.
    Sie war fünfzehn Monate alt.
    Die Kaiserin eilte ins Kinderzimmer, ich traf sie auf dem Flur und folgte ihr. Selbst Elisabeths Schlafliedchen konnte Anna nicht beruhigen: Sie stutzte nur einen verunsicherten Moment lang und schrie dann weiter. Der Arzt ließ ihr Kamillentee einflößen, den sie erbrach. Ihre Augen waren glasig von Fieber, und sie kratzte sich die Haut blutig, ihr ganzes Gesicht war rotfleckig und wund.
    Als eine der Katzen plötzlich anfing, unheimlich kreischende Laute von sich zu geben, befahl die Kaiserin, das Kinderzimmer zu

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