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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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fasste Alexej Orlow mich am Ärmel.
    »Die Großfürstin hat viele Freunde, Warwara Nikolajewna. Sagen Sie ihr das, ja?«
     
    Die Tochter von Katharina und Stanislaw wurde im Alexander-Newski-Kloster bestattet, das Peter der Große Russland geschenkt hatte. Die Kaiserin trug ein schlichtes schwarzes Taftkleid und keinen Schmuck. Zwei kräftige Lakaien mussten während des Trauergottesdiensts neben ihr stehen, um sie zu stützen, falls sie einen Schwächeanfall bekam.
    Katharinas Gesicht war unter einem dichten schwarzen Schleier verborgen. Sie lüftete ihn nur einmal, um Annas kalte Hand zu küssen, bevor der Priester den Deckel des kleinen Sargs schloss. Nach dem Begräbnis war sie still und in sich gekehrt, ganz mit ihrer Trauer beschäftigt. Ich versuchte sie zu trösten, aber nichts vermochte ihr Leid zu lindern.
    In den Wochen, die auf Annas Tod folgten, trafen Nachrichten von weiteren Trauerfällen ein. In einem Brief aus Paris wurde gemeldet, dass Fürstin Johanna verstorben war. Katharina hatte vor einiger Zeit wieder Kontakt zu ihrer Mutter aufgenommen und wusste deshalb von ihrer Krankheit und ihren wachsenden Schulden, aber es war trotzdem ein harter Schlag für sie.
    Dann kam ein Brief aus London. Die Tochter von Sir Charles Hanbury-Williams teilte darin den Tod ihres Vaters mit. Mein geliebter Vater , schrieb sie, fand nach seiner Rückkehr in die Heimat keine innere Ruhe mehr. Nichts hier befriedigte ihn, nichts konnte im Vergleich mit dem bestehen, was er in Russland zurückgelassen hatte. Die Klatschmäuler in den Vorzimmern des Palasts äußerten sich weniger zurückhaltend: … ein so kluger Kopf vollkommen zerrüttet … , hörte ich, … syphilitischer Wahnsinn … hat eine Schauspielerin mit einem Messer angegriffen …
    Das Ende alter Träume , dachte ich, schmerzhaft, aber unumgänglich. Wie ein Aderlass: Das dunkle Blut muss aus dem Körper abfließen, damit er wieder gesund werden kann.
     
    Im März ließ Monsieur Rastrelli im neuen Winterpalast noch unfertige Gebäudeteile durch schwere Leinwandvorhänge abtrennen. Tag und Nacht wurden Wände gestrichen, Teppiche verlegt, Möbel aufgestellt. Die Räume wurden immer beheizt, damit die Farbe trocknete. Als dann die Kaiserin kam, um ihr neues Schlafzimmer zu besichtigen, erinnerte nur noch ein ganz feiner Duft von Leinöl an die hektische Betriebsamkeit, die noch wenige Stunden zuvor in dem Raum geherrscht hatte.
    »Hier ist es, Hoheit. Das Juwel in dem ganzen Glanz, der Ihnen und dem neuen Russland gebührt. Mögen Sie immer Freude daran haben.«
    Im kleinen Ballsaal standen noch Unmengen von in Sackleinen verpackten Statuen herum, im Dienstbotentrakt lagerten Bauholz und Glas, aber dergleichen bekam die Kaiserin nicht zu Gesicht. Desto eifriger war Monsieur Rastrelli darauf bedacht, dass ihr kein Detail dessen entging, was er ihr vorführte, Parkett aus kostbaren Hölzern, golden gleißenden Stuck, üppige, karmesinrote Polster.
    Die Kaiserin schenkte ihrem Architekten ein leises Lächeln.
    Es wird nicht lange anhalten , dachte ich.
    Sie keuchte, jeder Atemzug tat ihr weh. Ihre Hände waren so geschwollen, dass sie ihre Lieblingsringe nicht mehr tragen konnte. Ihre Füße quollen selbst aus den bequemsten Schuhen.
    Als die Kaiserin in ihre fertiggestellte Suite einzog, standen erst für fünf ihrer zwölf Ehrendamen bewohnbare Zimmer bereit. Die Zofen schliefen auf Pritschen in einem Verschlag. Alle anderen verließen den Winterpalast, sobald ihr Dienst beendet war.
    Das alte kaiserliche Bett wirkte klein und verloren in dem großartigen Schlafzimmer, ein Schiffchen, das auf dem Meer treibt.
     
    Wann wusste ich, dass es mit der russischen Kaiserin zu Ende ging?
    War es Anfang Januar 1761, als man sich mit Fasten und Gebet auf die mitternächtliche Feier der Taufe Jesu vorbereitete? Am Tag vor dem Fest räumten Novizen des Newski-Klosters den Schnee auf dem Fluss und schnitten eine kreuzförmige Öffnung ins Eis, den »Jordan«, in dem die Gläubigen nackt untertauchten, um sich von ihren Sünden zu reinigen.
    »Schweigt!«, hatte die Kaiserin geschrien, als wir sie gebeten hatten, dieses Jahr nicht zum Jordan zu gehen. Sie stand in der eisigen Kälte, als die Prozession, angeführt von den Mönchen des Newski-Klosters, unter Glockengeläute zu dem Loch in der Newa zog.
    Ihr Profil sah so ernst und streng aus wie das geprägte Bildnis auf den Münzen.
    Einer nach dem anderen stiegen die Gläubigen aus dem schwarzen Wasser der Newa, die

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