Der Winterpalast
waren, dass die Kaiserin persönlich sich damit befasste, mussten so aufbereitet werden, dass man sie ihr zur Prüfung oder Entscheidung präsentieren konnte. Die Nachmittage seien für Lektüre reserviert, an den Abenden sollten nur Personen aus einem kleinen Kreis von Vertrauten und Freunden Zutritt zu Ihrer Majestät haben.
Der Oberhofmeister gab seiner zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck, dass Gräfin Malikina sicherstellen werde, dass diese neue Tageseinteilung nicht ohne Not gestört werde.
An einem düsteren verregneten Nachmittag im Oktober brachte ein Bote von der britischen Botschaft einen Brief, der an Madame Malikina adressiert war. Jemand hatte Madame durchgestrichen und dafür Gräfin hingeschrieben.
Der Brief war von Graf Poniatowski.
Er war außer sich vor Sorge. Seit vierzehn Wochen hatte er kein Lebenszeichen mehr von Katharina erhalten. Er fürchtete, dass seine früheren Briefe verloren gegangen waren.
Es lag ein versiegeltes Schreiben bei, auf dem Für Sophie stand. Graf Poniatowski bat mich, es Katharina persönlich auszuhändigen.
Es regnete immer noch, als ich am folgenden Tag in Katharinas
privates Arbeitszimmer trat, um ihr den Morgenkaffee zu bringen. Ich freute mich immer auf diesen Moment, denn ich konnte sicher sein, sie allein anzutreffen.
Ich hatte gerade im Kamin Feuer gemacht, als sie hereinkam, an ihrer Seite Sir Tom, der in Erwartung eines Leckerbissens Männchen machte. Sie sah müde und verdrossen aus. Die Herrscherpflichten, die sie unablässig in Anspruch nahmen, forderten ihren Tribut. Selbst an den Nachmittagen, an denen sich Katharina eigentlich ganz ihrer Lektüre widmen wollte, wurde sie jetzt ständig gestört.
Ich stellte das Tablett mit der Kaffeekanne wie immer auf den Schreibtisch neben die frisch geschnittenen Federn und den Stapel Kanzleipapier. Ich schenkte Kaffee in eine Porzellantasse und wartete, bis Katharina einen ersten Schluck getrunken hatte, dann gab ich ihr Stanislaws Brief. Sie öffnete ihn, überflog ihn und gab ihn mir dann zurück. Ich sah jetzt, dass er verschlüsselt geschrieben war.
»Verbrenn ihn, Warenka«, sagte sie, »bevor ihn noch jemand sieht.« Ich warf den Brief ins Feuer.
Sie schob ein paar Papiere auf ihrem Schreibtisch beiseite. »Setz dich, Warenka, schreib«, befahl sie.
Sie diktierte mir, und ich schrieb: Dass die Vernunft den Menschen gebiete, sich mit Verhältnissen, über die sie keine Macht haben, zu arrangieren. Dass sie sich bei jedem Schritt, den sie tue, genau in Acht nehmen müsse. Dass es ihr leid tue, aber so sei es nun einmal. Leben Sie wohl, geliebter Freund. Das Leben bringt oft sonderbare Überraschungen mit sich, aber Sie können gewiss sein, dass ich für Sie und die Ihren immer alles tun werde, was in meiner Macht steht.
Katharina schwieg eine Weile, als überlegte sie, ob sie noch etwas hinzufügen sollte.
»Es hat keinen Sinn, gegen etwas anzukämpfen, was nicht zu ändern ist, Warenka«, sagte sie, faltete das Blatt, siegelte es und steckte es mir in die Tasche.
Von dem grünen Samtkissen neben dem Schreibtisch hörte ich das klopfende Geräusch von Sir Toms wedelndem Schwanz.
Bevor ich den Brief in die britische Botschaft brachte mit der Bitte, ihn Graf Poniatowski zukommen zu lassen, fügte ich noch einige eigene Worte hinzu. Glauben Sie nicht alles, was Sie hören. Wenn man verletzt ist, neigt man dazu, immer das Schlimmste anzunehmen.
Später, als es endlich zu regnen aufgehört hatte, machte ich mit Darja einen Spaziergang, den ich ihr schon lange versprochen hatte.
Wir stiegen die Stufen zur Peter-und-Paul-Festung hinauf und blickten von dort über die Stadt, auf die prächtigen Paläste am Fluss, strahlend weiß und gelb in den warmen Strahlen der Sonne. Die tiefen Wasser der Newa waren gezähmt worden, der rote finnische Marmor des Kais trotzte der wilden Gewalt des Hochwassers.
»Ich rede immer noch mit Papa«, sagte Darja. Ihre Stimme zitterte leicht.
»Worüber?«, fragte ich, aber sie wollte es mir nicht sagen, und so hielt ich sie nur fest an mich gedrückt und ließ sie sich ausweinen.
Der frühere Kanzler Bestuschew war schon mehr als zwei Wochen wieder am Hof, doch ich war ihm aus dem Weg gegangen. Jetzt war er zu mir gekommen, hinfällig und leicht bucklig nach den Jahren seines Exils. Seine rot geränderten Augen musterten die burgunderroten Vorhänge mit den goldenen Quasten, die dicken Teppiche, das Bild Igors über dem Kaminsims.
Das Lächeln in seinem Gesicht
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