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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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gefiel mir nicht, ebenso wenig wie der amüsierte Ton seiner Stimme.
    »Wir haben gewonnen, Gräfin Malikina. Wir haben aufs richtige Pferd gesetzt, sie und ich.«
    Er küsste mir die Hand. Ich lud ihn mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Ich bemerkte, dass seine Perücke schief
auf seinem kahlen Schädel saß, und auch der Dotterfleck auf seiner Samtweste entging mir nicht.
    Er war zum Feldmarschall ernannt worden, aber der neue Ehrentitel konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er eben kein offizielles Amt mehr innehatte.
    »Feldmarschall! Marschall auf einem Rübenfeld«, hatte Grigori Orlow gespottet.
    Der ehemalige Kanzler öffnete eine Schnupftabaksdose und nahm eine Prise. Er hielt mir die Dose hin, aber ich winkte ab.
    »Sonderbar«, sagte er. »Mein Arzt schwört, dass Schnupftabak gegen Kater hilft, aber ich merke nichts davon. Ich brauche fünf Pfund von dem Zeug pro Monat und werde nur ärmer davon und nicht gesünder.«
    Er legte den Tabak in die Vertiefung zwischen Zeigefinger und Daumen, schnupfte und genoss das Prickeln in der Nase. Dann schnäuzte er sich und betrachtete interessiert den braunen Fleck auf dem Taschentuch, bevor er zu sprechen anfing.
    »Sehr klug« nannte er Katharinas Personalentscheidungen. Sie hatte Woronzow den Titel des Kanzlers gelassen, aber die Zuständigkeit für die Außenpolitik Panin übertragen. Grigori Orlow hatte sie zum Leiter der neuen Tutelkanzlei gemacht, sodass niemand sagen konnte, er habe jemanden aus seinem Amt verdrängt. Sie hatte Alexej Orlow begnadigt und ihn zugleich in die Kaserne abgeschoben. Sie hatte immer darauf geachtet, dass niemand zu stark wurde und sie die Zügel in der Hand behielt.
    Ich wandte mich ab und sah zum Fenster des Salons hin. Die Sonne über der Newa war bleich und trübe.
    Bestuschew seufzte tief. Sein Gesicht wurde finster.
    »Nichts hat sich geändert, Warwara Nikolajewna. Sie haben nach wie vor nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sind unentbehrlich, oder Sie sind ein Nichts. Ich habe es mit dem einfachen Leben versucht, und das hat wenig Reiz, glauben Sie mir.«
    »Nichts hat sich verändert?«, fragte ich ungläubig. »Wann haben Sie je zuvor eine Kaiserin so hart arbeiten gesehen?«
    Bestuschew musterte mich wie ein Arzt, der darüber nachdenkt, welche Diagnose er stellen soll.
    »Haben Sie alles vergessen, was ich Ihnen beigebracht habe, Warwara Nikolajewna? Oder lassen Sie sich von Ihrem neuen Titel blenden? Muss ich Sie daran erinnern, wie billig Titel hier derzeit zu haben sind? Ein Spielkasino verwandelt sich doch nicht in ein Kloster, nur weil es einen neuen Eigentümer hat.«
    Er beugte sich vor, das Gesicht zu einem verächtlichen Grinsen verzogen.
    »Wissen Sie, wie einige Ihrer neuen Freunde von Ihnen sprechen? Man sollte dieser Schnüfflerin , sagen sie, die neugierige Schnüffelnase abschneiden .«
    Ich stand auf.
    »Sie gehen jetzt besser«, sagte ich. »Ich habe zu tun.«
    Sein Gesicht lief rot an, auf seiner Stirn glänzte Schweiß.
    »Ah, Ihre Dienstpflichten! Eine davon ist, ihr Briefe von ihrem polnischen Liebhaber zu bringen, nicht? Was schreibt sie denn? Dass sie einen polnischen Schemel für ihre müden Füße braucht?«
    »Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht.«
    »Ja, vielleicht.« Seine Augen funkelten boshaft. »Aber es ist einfach zu faszinierend zu beobachten, wie unsere Katharina es anstellt, andere nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen.«
    »Wie kann man nur so sein!« Ich zitterte vor Empörung. »Sie sehen immer nur das Allerschlechteste in jedem Menschen.«
    »Sie ist mit Hilfe von Leuten an die Macht gekommen, die alle ihre jeweils eigenen Interessen verfolgten. Jetzt beginnt sie zu glauben, dass sie es alles aus eigener Kraft geschafft hat. Sie wird sich ihrer Helfer und Freunde entledigen. Es wird schon bald sehr hässlich zugehen, meine Liebe, glauben Sie mir. Und Sie sind jetzt nicht mehr wie früher unsichtbar hinter den Kulissen. Sie werden es mit mächtigen Feinden zu tun haben und die Erfahrung machen, dass sentimentale Erinnerungen an vergangene Freundschaft allein sie nicht zu schützen vermag. Glauben Sie immer noch, dass Sie mich nicht mehr brauchen?«
    »Gehen Sie«, sagte ich und griff nach dem Glöckchen, um nach dem Dienstmädchen zu klingeln. Ich wollte, dass er verschwand. Ich konnte seine Stimme nicht mehr ertragen.

Zwölf
    1763-1764
    I n den Kneipen von Sankt Petersburg erzählen alte Männer
mit runzligen Gesichtern gerne davon, mit welch ungläubigem

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