Der Winterpalast
Guckloch in der Wand beobachtete.
Ich sah, wie die jungen Mädchen sich um Sophie drängten, sie fragten, wie es ihr in Russland gefiel und wie sie ihre Kleider und Frisuren fand. Ich sah, wie ungezwungen heiter die Prinzessin auf diese albernen Fragen einging, wie sie eifrig den guten Geschmack ihrer Gefährtinnen lobte und sie zu all dem Flitterkram beglückwünschte, mit dem sie sich herausputzten.
Natürlich – selbst eine deutsche Provinzprinzessin musste sich noch eher zu ihnen hingezogen fühlen als zu der Tochter eines Buchbinders.
Ein paar Tage später beobachtete ich sie aus dem Dunkel eines fensterlosen Kabuffs durch ein Loch in der Wand: Sie saß in einem silbrigen Musselinkleid, das viel zu leicht war für den russischen Winter, einen Schal um ihre schmalen Schultern geschlungen, allein in einem Sessel und wiegte ihren Oberkörper immer vor und zurück.
Nach einer Weile nahm sie ein Buch zur Hand und begann zu lesen. Ich nahm mir vor, bei nächster Gelegenheit zu untersuchen, ob vielleicht ein Brief zwischen den Seiten versteckt war.
Die dumpfe Luft in dem Raum machte mich ganz benommen. Durch die Ritzen zwischen den Bodendielen drang der Geruch von gekochtem Kohl und getrockneten Pilzen. Ich zupfte an dem engen Kragen meines Hofkleids und dachte an die Elefantenparade in Sankt Petersburg, die ich dieses Jahr versäumen würde.
Als ich wieder durch das Guckloch schaute, stand Sophie vor einer offenen Tür. Es war eine Seitentür, die ausschließlich von Dienstboten benutzt wurde, und ging auf einen Korridor hinaus, durch den Lakaien und Stubenmädchen, beladen mit Frühstückstabletts, Kaffeekannen und anderen Dingen, hin und her eilten. Ein Dienstmädchen redete auf Russisch auf die Prinzessin ein,
um ihr zu erklären, dass dieser Durchgang nicht für ihresgleichen bestimmt war.
»Bitte, Hoheit, bitte«, sagte das Mädchen immer wieder, ganz erhitzt vor Aufregung. Ich konnte mir gut vorstellen, was sie am Abend ihren Kolleginnen erzählen würde.
» Spasiba . Danke«, antwortete Sophie, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Die »offizielle« Tür ging auf, und ich sah Fürstin Johanna eintreten. Sie stürmte herein, offensichtlich hochgradig gereizt. Sie war noch nicht fertig geschminkt, die dunklen Ringe unter den Augen waren deutlich sichtbar. »Was soll das, bist du verrückt?«, schrie sie. »Mach sofort die Tür zu!«
Überhaupt war die Fürstin sehr unzufrieden mit dem Benehmen ihrer Tochter. Sie lege eine träge Gleichgültigkeit an den Tag, warf sie ihr vor, kein Charme, keine feminine Heiterkeit. Dem Großfürsten hatte ihre Gesellschaft wenig Vergnügen bereitet in letzter Zeit, und es war nicht schwer zu erraten, woran das lag.
»Wieso zeigst du nicht mehr Interesse, wenn er sich mit dir unterhalten will?«
»Aber er will doch immer nur über Holstein reden, Maman.«
»Na und? Dann redest du eben mit ihm über Holstein. Dummes Ding.«
Es folgten weitere Vorwürfe. Die Prinzessin ging nicht anmutig genug. Sie vernachlässigte ihre Pflichten ihrem Vater gegenüber – allerdings konnte die Fürstin nicht präzisieren, was für Pflichten im Einzelnen sie im Auge hatte. Sophie stand mit gesenktem Kopf da, ihre Finger spielten mit dem Anhänger an ihrem Halskettchen.
Wieder ging die Tür auf, und Bairta kam laut weinend ins Zimmer. Das kleine Kalmückenmädchen war ein Willkommensgeschenk der Kaiserin an Sophie. Sie hatte das Kind auf der Straße singen gehört und war entzückt gewesen von seiner glockenhellen Stimme. Bairta war nicht teuer gewesen, ihr Vater hatte sie im Tausch für ein gutes Reitpferd hergegeben.
»Wieso kannst du dieses Balg nicht in deinem eigenen Zimmer
behalten, Sophie? Dieses ständige Geheule geht mir auf die Nerven, ich bekomme Kopfweh davon.«
Bairta verzog sich in eine Ecke des Zimmers und machte sich ganz klein.
Irgendwann hatte die Fürstin sich endlich müde geschimpft. Die Lippen zu einem künstlichen Grinsen verzogen, betrachtete sie sich im Spiegel, schob ihre Frisur zurecht und tupfte auf ein Schönheitspflästerchen an ihrem Kinn. Einen Moment lang erstarrte sie und lauschte; offenbar hatte sie irgendein Geräusch gehört. »Behaupte später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, sagte sie zu ihrer Tochter und ging hinaus.
Sobald ihre Mutter weg war, wischte Sophie sich über die Augen und schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund. Sie machte ein paar zögernde Schritte durch den Raum, blieb vor dem Spiegel stehen und fing an, Knickse zu
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