Der Winterpalast
knickste, als sie hereintrat. Sie würdigte mich keines Blicks. Ihr seidenes Kleid knisterte, als sie mit den flinken, anmutigen Schritten einer Tänzerin auf ihren Neffen zuging. Er lag auf dem Bett, den samtenen Morgenmantel eng um seinen ausgemergelten Körper geschlungen, das Gesicht mit Gaze verhängt.
Sie klatschte in die Hände. Sie hatte etwas zu verkünden: »Die Ärzte sagen, du bist geheilt.«
»Ich fühle mich schwach und matt«, murmelte er.
»Natürlich fühlst du dich matt«, sagte die Kaiserin unbeeindruckt, »du brauchst frische Luft. Es tut dir nicht gut, Tag um Tag in diesem dunklen Zimmer herumzuliegen.«
»Ich habe immer noch Halsweh.«
Aber die Kaiserin wollte nichts davon hören. Allen seinen Protesten und Bitten zum Trotz zwang sie ihn aufzustehen, und sie ließ die Vorhänge aufziehen, damit Licht hereinkam.
Die tiefstehende Sonne war so hell, dass wir blinzelten.
Ein Lakai hatte einen silbernen Spiegel gebracht. Zwei Zofen hielten ihn Peter vor.
Die Kaiserin hob seinen Gazeschleier. »Schau dich an.«
»Nein, ich will nicht«, murmelte er und hielt sich die Hände vors Gesicht.
Aber die Kaiserin duldete es nicht. Sie griff nach seinen Händen und zog sie weg, sodass er sich ansehen musste.
»Das bin nicht ich!«, schrie Peter.
Zum ersten Mal sah ich seinen grotesk klaffenden Mund mit den aufgedunsenen rosa Lippen, die an fette Regenwürmer erinnerten. Seine Wangen waren geschwollen und mit eitrig verkrus
teten Pockennarben übersät. Ganz klein blinkten die Augen zwischen wulstigem Gewebe hervor.
Ich erkannte diesen leer starrenden Blick sofort wieder.
Und auch der Großfürst erkannte ihn wieder – den toten Blick der grausigen Exponate in der anatomischen Sammlung seines Großvaters. Ich hörte ein durchdringendes Kreischen, einen Schrei tiefsten Entsetzens.
»Das bin nicht ich!«
Die Kaiserin hielt ihn umschlungen und redete sanft auf ihn ein. Es werde alles vergehen, sagte sie, die roten Schwellungen würden mit der Zeit verschwinden. Er werde wieder kräftiger werden. Sicher, es würden Narben bleiben, aber er war schließlich keine Frau. Ein Schmiss oder auch zwei seien kein Unglück, ein Mann musste keine makellose Haut haben. Ein Mann musste stark sein, unbesiegbar.
Ich schlüpfte möglichst unauffällig hinaus.
In dem Raum nebenan setzte ich mich und rang nach Luft. Aus dem Schlafzimmer des Fürsten klang ein klagender Schrei, dann noch einer, und dann war nur noch die Stimme der Kaiserin zu hören, die ein Wiegenlied sang.
Spi mladenez, moj prekrasnyj
Schlaf, mein Kindchen, mein schönes …
Nachdem die Ärzte den Großfürsten für geheilt erklärt hatten, ordnete die Kaiserin an, dass Katharina und die Fürstin Johanna wieder ihre Wohnung im Winterpalast bezogen.
Nach und nach normalisierte sich das Leben am Hof. Die Türen zu den kaiserlichen Gemächern standen offen, die Kaiserin hielt wieder Audienzen und empfing Gäste, am Abend erfüllte Musik die Säle. Es war die Rede davon, dass ein Maskenball mit Feuerwerk zur Feier der Genesung des Großfürsten veranstaltet werden sollte.
Katharina brachte die meiste Zeit allein in ihrer Wohnung zu,
wenn sie nicht in der Kapelle war, um zu beten, während ihre Mutter, froh, aus ihrer Verbannung in die Bedeutungslosigkeit erlöst zu sein, ständig unterwegs war, um allen möglichen wichtigen Personen Besuche abzustatten. Chevalier Bezkoi, dessen Liebesglut während der Periode der Unsicherheit merklich abgekühlt war, kehrte wieder zu ihr zurück. Wenn ich der Fürstin auf den Gängen des Palasts begegnete, übersah sie mich geflissentlich: Offenbar fand sie, dass es unter ihrer Würde war, meinen Gruß zur Kenntnis zu nehmen.
Ich sah Katharina fast täglich, wenn auch immer nur kurz. Die Kaiserin erlaubte nicht, dass der Großfürst seine Verlobte besuchte. Katharina fragte mich ständig nach seinem Befinden, ob er gut esse, welche Bücher er sich vorlesen lasse, ob er schon kräftig genug sei, zu stehen, ohne sich an einer Stuhllehne festzuhalten.
Es gehe stetig mit ihm bergauf, versicherte ich ihr.
Die Geschichte von den Schiffbrüchigen, die auf einer Insel landeten, welche sich dann als der Rücken eines Wals entpuppte, hatte ihm besonders gut gefallen.
Er hörte nach dem Abendessen der Musik zu.
Sie fragte mich nie, wie er jetzt aussah, und ich war ihr dankbar dafür.
Zwei Wochen vergingen, bis Katharina endlich die Erlaubnis erhielt, ihren Verlobten wiederzusehen.
Ich hatte ihm wie
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