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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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wenn er über sie sprach.
    Aber als ich schon dachte, Katharina könnte es vielleicht doch schaffen, spielte Bestuschew seine Trumpfkarte aus, jene, die ich am liebsten aus meinem Gedächtnis getilgt hätte.
     
    Ich befand mich mit der Kaiserin in einer niedrigen Dachkammer im Westflügel des Palasts, als der Kanzler eintrat, in der Hand Johannas Briefe.
    Ich stand auf, um zu gehen.
    »Bleib«, sagte er. Ich erstarrte.
    »Euer Majestät sollten einen Blick darauf werfen.« Er hielt ihr die in der krakeligen Handschrift der Fürstin beschriebenen Blätter hin.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    »Deutsche Dankbarkeit«, antwortete er.
    Sie warf ihm einen ungeduldigen Blick zu, nahm aber die Briefe und machte ihm ein Zeichen, ihr mit einer Kerze zu leuchten.
    Sie fing an zu lesen, er stand neben ihr, das rote Samtjackett aufgeknöpft, im rechten Auge ein Monokel, das jedes Mal blitzte, wenn er den Kopf bewegte. Von der Kaiserin war immer wieder gereiztes Schnauben zu hören.
    … schenkt uns ihre schweißfleckigen Kleider, als wären wir Bettler, und erwartet von uns, dass wir diesen dreckigen Palast in den höchsten Tönen preisen … diese Tochter einer Kuhmagd … spielt die Kaiserin, dabei würde sie sich doch in einem Stall mehr zu Hause fühlen …
    »Der Bote wurde abgefangen«, sagte der Kanzler. »Nichts von diesem ganzen Schmutz ist über die Grenze gelangt. Aber das hier ist noch nicht alles. Erzähle Ihrer Majestät, was du gesehen hast, Warwara.«
    Ich betete, die Erde möge sich auftun und mich verschlingen. Ich wünschte mir zu sterben, bevor ich mit meinen Worten Katharinas Zukunft zerstörte. Aber ich hatte keine Wahl.
    »Nun, Warwara?« Die Kaiserin, zugleich neugierig und voller Verachtung, runzelte finster die Stirn. In dem weit geschnittenen seidenen Negligee wirkte ihr Körper wie eine flüssige Masse, die jeden Moment über die Ufer treten konnte.
    »Fürstin Johanna, Hoheit –«, stammelte ich.
    »Was ist mit ihr?«
    »Eine Hebamme war bei ihr. Ich sah sie aus dem Zimmer der Fürstin kommen. Sie trug blutige Lumpen fort und eine Schüssel, die mit einem Tuch zugedeckt war.«
    »Und? Woher weißt du, dass sie die Fürstin nicht einfach nur zur Ader gelassen hat?«
    »Die Hebamme, Hoheit … ich habe beobachtet, wie sie das, was in der Schüssel war, in ihrem Garten vergraben hat. Die Fürstin gab ihr hundert Rubel und versprach ihr noch einmal hundert, sobald ihre Tochter verheiratet wäre.«
    »Wo wohnt diese Hebamme?«
    »In der Monetnajastraße, Hoheit. Das Haus ist blau gestrichen, und der Garten liegt dahinter.«
    Die Kaiserin stand mit zornrotem Gesicht von ihrem Bett auf und begann im Raum hin und her zu stapfen, die Hände zu Fäusten geballt.
    »Eine Frau, die ihr eigenes Kind umbringt!«, sagte der Kanzler. »Die das junge Leben, das Gott ihr anvertraut hat, von einer Hebamme zerstückeln lässt!«
    Mit aller Schonungslosigkeit wollte er es ihr einhämmern: Wie die Mutter so die Tochter – in beider Adern pulsiert dasselbe verderbte Blut. »Ist denn wirklich nichts mehr undenkbar, Majestät? Ist nichts mehr heilig?«
    Die Kaiserin atmete schwer, ihre Augen waren blutunterlaufen. Durch ihren Geist waberten die Schwefeldämpfe der ewigen Verdammnis, in einer Höllenvision sah sie Teufel in deutscher Tracht, die armen Sündern Augen und Zungen ausrissen.
    Sie nahm einen Fächer, ihren neuesten, aus Schwanenhaut und schwarzen Federn, ein Geschenk von Graf Rasumowski. Sie zog den Kopf ein wie eine riesige Schildkröte.
    Der Kanzler nahm ihr Schweigen als gutes Zeichen. Das freudige Glitzern in seinen Augen verriet, dass er in seiner Phantasie Katharina und ihre Mutter bereits tränenüberströmt ihre Koffer packen sah.
    Unglück treibt das Ungeziefer ans Licht , hatte er oft zu mir
gesagt. Wenn ein Mächtiger stürzt, kriechen Feinde aus ihren Löchern hervor.
    Ich sah, wie die Kaiserin den Fächer zerbrach und ihn auf den Boden warf – ein verstümmelter Vogel mit geknickter Schwinge, der nie mehr fliegen wird.
    Russland würde sich schon bald mit England oder Österreich verbünden, wie es der Kanzler schon immer gewünscht hatte. Alles würde sich im mächtigen Reich des Ostens zum Besten wenden.
    Der Frühling würde kommen. Ein Knallen wie von Musketenschüssen würde durch die Nacht hallen, wenn das Eis auf der Newa brach, und große Eisschollen würden hinaus aufs Meer treiben.
    Und ich würde keine Freundin mehr haben.
     
    Am Morgen machte Katharina einen Spaziergang am Ufer

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