Der Winterpalast
extra eine lange Bank mitbringen, auf der sie stehen konnten.
Kleiderpuppen mit Hochzeitsgarderoben wurden präsentiert und fanden allesamt keine Gnade vor den Augen der Kaiserin. Zitternd vor Angst ließ die neue Kammerfrau das Donnerwetter über sich ergehen. Ob sie nicht wusste, dass Rüschen längst passé waren, dass zu viele Edelsteine auf Silberlamee den Stoff steif machen? Gab es keine sanfteren Weißtöne? Als die Kammerfrau sich zurückzog, nachdem sie versprochen hatte, ihre Sache beim nächsten Mal gewiss besser zu machen, begann auch ich zu zweifeln, dass es ein Kleid geben konnte, das Elisabeths Kritik standhielt. Aber als der Sommer voranschritt, kam der Tag, da die Kaiserin Katharina und Peter rufen ließ, um ihre Entscheidung zu verkünden.
Zwei große Kleiderpuppen standen auf einem Tisch. Die eine trug ein Kleid aus Silberlamee, reich bestickt an allen Säumen. Über den Stoff floss ein Schleier aus spinnwebfeiner Spitze. Peters Hochzeitsanzug war aus dem gleichen silbernen Tuch geschnitten und – ebenso wie der Degen, den er dazu tragen sollte – über und über mit glitzernden Diamanten geschmückt. Die Kaiserin kippte die Puppen leicht, sodass sie einander zu umarmen schienen, und sah das junge Paar strahlend an.
Katharina betastete den Stoff des Kleids mit den hauchzarten Silberfäden und stieß entzückte Schreie der Bewunderung aus. Der Großfürst tupfte steif mit dem ausgestreckten Zeigefinger gegen seine Puppe.
»Was meinst du, Peter?«, fragte die Kaiserin aufmunternd.
Sie hatte angeordnet, dass man ihm eine Paste, die seine Pockennarben kaschieren sollte, auf Wangen und Stirn auftrug. Aus einiger Entfernung wirkte seine Haut auch wirklich halbwegs glatt, aber bei näherer Betrachtung sah man die Spachtelmasse, die schnell bröckelig wurde und seinen Kragen beschmutzte.
»Fragen Sie besser sie .« Er zeigte mit dem Finger auf Katharina.
Katharina verneigte sich. »Das Kleid ist wunderschön, Majestät. Das schönste, das ich je hatte.«
»Mondkinder«, sagte die Kaiserin. »Ihr werdet aussehen wie Mondkinder.«
Die beiden verbeugten sich und gingen Hand in Hand hinaus.
Die Kaiserin seufzte selig, aber ich sah die Kammerfrau an, die sich eine Träne abwischte. In ihrer frischen, schmucken Erscheinung war nichts, das an ihre Vorgängerin erinnerte, und doch musste ich plötzlich an Madame Kluge denken, an ihr bleiches, schreckensstarres Gesicht, als die Wachen sie auf das Brettergerüst gezerrt hatten. Um das Bild abzuwehren, rief ich mir die roten Striemen an meinen Schienbeinen ins Gedächtnis, die Demütigungen und Gemeinheiten, die sie mir angetan hatte, aber diese Erinnerungen hatten kein Gewicht, sie waren wie Flusen, die sich unter dem Bett sammeln.
Ihr Sturz war mein Triumph gewesen und zugleich eine Warnung. Sobald ihre Wunden so weit geheilt waren, dass sie wieder sitzen konnte, hatte man sie zurück nach Deutschland geschickt. »Besser als nach Sibirien«, hatte der Kanzler bemerkt.
Später an diesem Tag hörte ich den Großfürsten sagen, er wünschte, seine Tante würde nicht darauf bestehen, dass nur lauter Trompeten und Fanfaren bei der Hochzeit aufspielten, Geigen seien viel vornehmer. Er wünschte auch, Katharina hätte nicht solchen Mundgeruch. Sie sollte sich so wie er regelmäßig den Mund mit Wodka ausspülen.
Es spielt keine Rolle, dachte ich.
Es wird eine Hochzeit geben.
Es wird eine Hochzeit geben , murmelte ich, als ich wieder an meine Arbeit ging. Mein Aufgabenbereich hatte sich in der letzten Zeit sehr verändert: Wenn die Kaiserin mich jetzt rufen ließ, musste ich etwa verlorene Stoffmuster suchen, in aller Eile diktierte Nachrichten an Juweliere oder Parfümeure schreiben oder mich mit dem Diebstahl von ein paar Rebhühnern oder einer halben Schiffsladung Wein befassen.
Keine Angelegenheit war ihr zu trivial. Sie inspizierte die Ti
sche, an denen die Festgäste tafeln sollten, entdeckte Kratzer und Schrammen, die gekittet oder wegpoliert werden mussten. Sie entschied, welche Ölbilder mit Milch zu waschen, welche gesprungenen Fensterscheiben auszuwechseln waren. Sie bestellte Küchenchefs, Kellermeister, Gärtner zum Rapport, überzeugte sich persönlich davon, dass ausreichend Weintrauben, Ananas, Orangen, kandierte Früchte da waren. Sie regte sich auf, weil geräucherter Stör und balyk nicht in der bestellten Menge geliefert worden waren. Keiner der ausländischen Gäste durfte auch nur den leisesten Grund haben, schlecht über die
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