Der Winterpalast
zurecht.«
Ich tat so, als hätte ich den Sarkasmus in ihren Worten nicht bemerkt, und blickte starr auf das halbmondförmige Schönheitspflästerchen auf ihrer Oberlippe. Vielleicht ahnte sie, dass ich sie verraten hatte, aber das ließ mich kalt. Diese Frau hätte um ein Haar das Leben ihrer Tochter zerstört, und das einzig und allein, um ihre Eitelkeit und Selbstsucht zu befriedigen.
Die Fürstin drehte sich nach den Wachposten um, und ich folgte ihrem Blick. Die beiden beobachteten uns. Der eine zwinkerte mir zu und legte die flache Hand auf sein Herz.
Das flammende Rot im Gesicht des Großfürsten verblasste allmählich. Aber als die Schwellung zurückging, zeigte sich immer deutlicher, dass ein Auge tiefer hing als das andere, was dem Gesicht einen Ausdruck ständiger Verwirrtheit verlieh. Sosehr ich mich auch dagegen wehrte, musste ich bei seinem Anblick immer an einen Hofnarren denken.
Katharina schaute nicht weg. Sie zuckte nicht mit der Wimper, wenn Peter klagte, sie sei zu mager und ihr Kinn sei zu spitz, oder wenn er bemerkte, die Prinzessin von Kurland sei die schönste Frau, die er jemals gesehen habe.
Sie brachte ihn mit ihrem Katzenkonzert zum Lachen. Sie beschrieb ihm genau das Berliner Schloss von König Friedrich, den Weißen Saal, die Goldene Galerie, den Thronsaal, und zeichnete ihm sogar eine Planskizze der Anlage. Sie nickte freundlich lächelnd, wenn er sagte, die preußischen Uniformen seien besser geschnitten und aus besserem Tuch als die russischen.
Ihre Besuche beim Großfürsten dauerten jetzt länger.
Sie musste ihm aus holsteinischen Zeitungen vorlesen: Meldungen von auslaufenden Pachtverträgen, Vorschriften zur Beseitigung von Tierkadavern, Petitionen, die Zölle zu senken, den Betrieb einer weiteren Brauerei zu genehmigen. Die Frakturschrift ermüde seine Augen, behauptete er. Sie bot ihm an, seine Briefe zu schreiben. Er müsse sie dann nur noch signieren und siegeln.
Frauen verstehen sich auf solche Dinge, sagte er. Sie haben die nötige Geduld, sich mit Trivialitäten abzugeben.
Einmal ermahnte Katharina ihn, sich während der Messe öfter zu bekreuzigen, »damit es auch wirklich alle Leute sehen, Peter, schließlich werden Sie einmal Kaiser sein«, und er versprach, künftig daran zu denken.
Wenn ich die beiden so beobachtete, wuchs meine Zuversicht. Elisabeth würde nicht ewig leben, eines Tages würde die Großfürstin die Gemahlin des Kaisers sein.
Und so hatte auch ich eine Zukunft.
Es wurde Juni, die Hochzeitsvorbereitungen kamen immer mehr in Schwung, und im selben Maß erlahmten die Regierungsgeschäfte. Kaiserliche Dokumente wurden nicht unterzeichnet, Verhandlungen stockten, ausländische Gesandte warteten wochenlang vergeblich darauf, dass sie zu Audienzen empfangen wurden. Sie habe keine Zeit, ließ die Kaiserin dem Kanzler ausrichten. Gästelisten und Sitzordnungen mussten geprüft und genehmigt werden, die verschiedenen Anordnungen des Gefolges mussten diskutiert, Gunstbeweise gewährt oder verweigert werden. »Pracht ist Knochenarbeit«, bemerkte Elisabeth seufzend.
Ich hatte sie nie so beschwingt und voller Tatendrang gesehen. Sie entdeckte wieder neu die Freuden des traditionellen russischen Dampfbads. Am Morgen verschaffte sie sich regelmäßig Bewegung, und zwar barfuß, um ihren Kreislauf anzuregen. Die Fenster im Palast mussten immer offen stehen, selbst an den heißesten Tagen, weswegen in den kaiserlichen Gemächern permanent ein ländlicher Mistgeruch hing, der von der Zarenwiese hereinwehte. Überall standen Vasen mit Wildblumen – Margeriten, Goldruten, Kamille –, deren Düfte die Kaiserin an ihre Kindheit erinnerten.
Fieberhafte Betriebsamkeit machte sich überall breit. Bald waren alle Büsche und Hecken in der Umgebung des Palasts mit Leinenzeug bedeckt, das in der Sonne bleichte. Aus den Küchen drang zorniges Geschrei gereizter Köche, hektisches Klappern von Töpfen und Pfannen. Dienstmägde mit roten Händen und rot geränderten Augen hasteten umher. Aus der Orangerie in Oranienbaum brachten Gärtner blühende Zitronenbäumchen, die in silberne Töpfe gepflanzt waren und die Räume des Palasts mit Wohlgeruch erfüllen sollten.
Die Katzen der Kaiserin wurden in die Vorzimmer verbannt, denn jede verfügbare Fläche im kaiserlichen Schlafzimmer war mit Stoffen, Spitzen, Bändern, Ledermustern und Strängen von Wolle bedeckt. Die fünf Lakaien der Kaiserin, die oft gerufen wurden, um für sie zu singen, mussten jedes Mal
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