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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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russische Gastfreundschaft zu reden.
    Schließlich war es die Hochzeitsfeier des künftigen Zaren.
     
    Als ich durch einen der Korridore eilte, hörte ich die Stimme des Kanzlers.
    »Junge Mädchen und Hochzeiten haben immer etwas Rührendes, nicht, Warwara?«
    Ich blieb stehen.
    »Die Großfürstin sieht großartig aus«, fuhr er fort. Ich hörte den Sarkasmus in seiner Stimme und auch den leise drohenden Unterton.
    »Ja.«
    »Und die allgemeine Begeisterung hat auch auf dich abgefärbt, wie es scheint.« Er trat mir in den Weg. »Tja, wer hätte das gedacht?«
    Er hatte mich seit dem Tag, an dem die Fürstin in Ungnade gefallen war, nicht mehr zu sich gerufen. Mir war nicht wohl zumute. Ich presste die Lippen aufeinander und überlegte, was seine Worte wohl zu bedeuten hatten. Aber im Grund meines Herzens wusste ich es bereits. Der Herr über alle Spitzel am russischen Hof hatte mich genau beobachtet, und was er sah, gefiel ihm nicht.
    Ich machte einen Schritt nach vorn.
    Mit einer ironischen Verbeugung trat er zur Seite und ließ mich vorbei.
     
    Als es Juli wurde, bestellte die Kaiserin jeden Morgen Katharina zu sich, unterhielt sich mit ihr und überhäufte sie mit Komplimenten. Sie flocht ihr bunte Bänder ins dunkle Haar, setzte ihr einen roten, mit großen Perlen verzierten Kokoschnik auf, der früher ihrer Mutter gehört hatte, brachte ihr russische Tänze bei und kostete mit ihr Proben der Gerichte, die beim Hochzeitsmahl serviert werden sollten. Die Trauungszeremonie sollte nach dem Willen der Kaiserin in der Kirche Unserer Lieben Frau von Kasan stattfinden. Sie hatte ihren Namen von einer Ikone, die Elisabeth über alles verehrte. Die Heilige Jungfrau von Kasan hatte Kranke geheilt und in Momenten höchster Not die Feinde Russlands triumphal zerschmettert. Die Kaiserin lechzte nach Wundern mit einer Begierde, die ebenso stark war wie die nach jungen Gardesoldaten.
    In den Nächten, wenn mein Dienst bei der Kaiserin beendet war, schmiedeten Katharina und ich Pläne. Sie brauchte eine Vertraute.
    Sie brauchte mich.
    »Sobald ich verheiratet bin, werde ich die Kaiserin bitten, dich mir zu überlassen«, sagte sie. »Ich werde sagen, ich bekomme Kopfweh, wenn ich bei Kerzenlicht lese, darum brauche ich eine Vorleserin, und zwar eine, die auch Französisch kann.«
    Ich nickte.
    »Und bei der nächsten Gelegenheit mache ich dich zu meiner Ehrendame, Warenka. Ich weiß noch nicht, wie ich es anstelle, aber mir wird sicher etwas einfallen. Dann können wir immer zusammen sein. Du wirst mir immer helfen, nicht?«
    Ich küsste ihre Hand.
    Nebenan kommandierte die Fürstin ihre Zofen herum. »Nicht so, dummes Ding, kannst du nicht achtgeben?«, hörten wir sie schimpfen.
    Ich warf Katharina einen Blick zu.
    »Lass uns nicht über sie reden«, sagte Katharina.
    Sie hatte recht, fand ich. Ihre Mutter war ihre Vergangenheit,
nicht ihre Zukunft. Und die Vergangenheit zählte immer weniger.
     
    Wurde ich allzu sorglos in jener Zeit? Beschwipst von dem Gedanken, dass ich, die Tochter eines Buchbinders, nach der Hochzeit der Großfürstin als eine ihrer Ehrendamen in ihrem Gefolge schreiten sollte?
    Ließ ich mich allzu sehr von Katharinas Lächeln bezaubern, von der Naivität ihrer kindlichen Befürchtungen?
    »Was wird er tun, wenn wir beide allein sind, Warenka?«
    »Er wird Sie küssen.«
    »Auf den Mund?«
    »Ja.«
    »Und dann?«
    »Auf Ihre Brüste.«
    »Und ich, muss ich ihn auch küssen?«
    »Ja.«
    »Wird es weh tun?«
    »Was? Die Küsse?«
    »Nein, du weißt schon. Maman sagt, dass es wehtut, aber ich muss es ertragen.«
    »Es tut vielleicht weh.«
    »Sehr?«
    »Es ist nicht so schlimm.«
    Es wird nicht lange dauern , dachte ich, ein lustvolles Stöhnen, eine Entladung, dann ist es überstanden.
    »Sie werden bald ein Kind bekommen«, sagte ich. »Und dann spielt alles andere keine Rolle mehr.«
    Katharinas Nerven waren sehr angespannt in dieser Zeit, beim kleinsten Anlass – ein abgerissenes Band, ein verlorener Kamm aus Schildpatt, den sie aus Zerbst mitgebracht hatte – konnte sie in Tränen ausbrechen. Einmal biss sie sich so fest in die Hand, dass sie blutete.
    Ich versuchte sie abzulenken – wir gingen im Garten spazie
ren, immer schneller und schneller, bis wir außer Atem waren, oder ich brachte ihr junge Kätzchen, die ich auf dem Dachboden gefunden hatte, und sie streichelte die Tierchen in ihrem Schoß, argwöhnisch beobachtet von der Katzenmutter.
    Ich verdrängte den Gedanken an das

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