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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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fremder Rachsucht werden könnten.
    Als wohlwollender Gönner verkleidet stieß der Kanzler mir den Dolch ins Herz. Das war meine Strafe, ersonnen von einem Meister der Intrige: eine Strafe, für die ich der Kaiserin auf Knien danken musste. Ich musste ihre Großzügigkeit preisen, sie meine Wohltäterin nennen, die Mutter Russlands, die am besten wusste, was gut ist für ihre Schützlinge.
    Eine Frau ist nur ein Gefäß, das gefüllt werden muss. Ihr Ehemann trägt die Verantwortung dafür, wenn sie auf die Idee kommt, sie sei wichtig, gerissen, unersetzlich.
    Ich brannte vor Zorn auf mich selbst. Ich verfluchte meine idiotische Selbstgefälligkeit. Wie leicht musste es dem Kanzler gefallen sein, Elisabeth zu manipulieren. Eine beiläufige Bemerkung, die Zweifel säte, gefolgt von einem warnenden Seufzen, damit das junge Pflänzchen Wurzeln schlug. Ach ja, es gibt so viel Undank auf der Welt, Majestät. Wahre Treue findet man selten, nicht?
    Jeder wusste, dass es der Kaiserin Vergnügen machte, ihre Zofen zu verheiraten, und sei es auch nur, um auf ihren Hochzeiten zu tanzen. Sie gefiel sich in der Tracht eines einfachen Bauernmädchens, wie ihre Mutter eines gewesen war, bevor sie mit ihren Reizen einen mächtigen Zaren bezaubert hatte. In Kasernen, un
ter Dienstmädchen und Stallburschen fühlte Elisabeth sich am wohlsten.
    Wenn ich nicht so unachtsam gewesen wäre, hätte ich zumindest versuchen können, etwas zu unternehmen.
    Jetzt war es zu spät. Ich war Igors Belohnung für die Dienste, die er der Kaiserin geleistet hatte. »Vorbildliche Pflichterfüllung«, hatte sie gesagt. Ihre Worte ließen mir keine Fluchtmöglichkeit, nirgendwo zeigte sich eine Ritze, durch die ich schlüpfen konnte.
    »Einen Sohn will ich sehen, Warwara.« Sie hielt mir eine Ikone zum Kuss hin. »Komm neun Monate nach der Hochzeit mit einem Sohn wieder hierher.«
    Meine Hände wurden kalt – erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich den Hof verlassen musste.
    Und Katharina.
    Mit starren Lippen stammelte ich Dankesworte, dann sank ich neben Igor Malikin vor der Kaiserin auf die Knie, um ihren Segen zu empfangen.
     
    In einem der Reiseberichte in der kaiserlichen Bibliothek fand ich eine Geschichte von einem überaus tückischen und listenreichen indischen König. Er war ständig auf der Suche nach Männern, die so aussahen, dass man sie für ausgemachte Einfaltspinsel oder blind oder taub halten musste. Wenn einer trübe Augen oder verstümmelte Ohrmuscheln hatte, war er bestens geeignet, Leute in Sicherheit zu wiegen, die sich von Äußerlichkeiten täuschen ließen. Die Männer wurden in der altüberlieferten Gedächtniskunst geschult und als Spione auf Märkte und Volksfeste, in öffentliche Gärten und Anlagen hinausgeschickt. Sie sollten unter Bettlern und Vagabunden leben und alle menschlichen Schwächen beobachten und sammeln.
    Der König sandte auch Heilige als Spione aus, die ausgebildet waren, ein Leben in extremer Askese zu führen. Sie ließen sich in der Umgebung der Stadt nieder, fasteten und beteten, lasen den Leuten, die zu ihnen kamen, aus der Hand und spendeten ihnen
ihren Segen. Um ihren Ruhm zu verbreiten, suchten andere Spione, als reiche Kaufleute verkleidet, die Heiligen auf, baten sie um Rat und priesen, wenn sie wieder gingen, laut überall ihre Weisheit und ihre Heilskräfte. Bald strömten die Menschen in hellen Scharen herbei, um sich die Zukunft vorhersagen zu lassen und vertrauensvoll ihre innersten Geheimnisse offenzulegen. Was konnte es Besseres geben, prahlte jener Barbarenkönig, um zu erfahren, wer unter seinen Untertanen Unruhe und Aufruhr stiftete?
    Aber was dem Verfasser des Reiseberichts am meisten Angst einjagte, waren die Frauen im Dienst des Königs. Nicht diejenigen, die dem Feind vergiftete Speisen verkauften, auch nicht die, die todbringendes Pulver über Schlafende streuten, sondern die wahrhaft furchterregenden Vishkanyas . Das waren schöne junge Frauen, denen man von Kindheit an täglich Gift von Pflanzen, Schlangen und Skorpionen verabreicht hatte, das ihnen nicht schadete, da es immer nur eine sehr kleine Dosis war, das sich jedoch im Körper anreicherte, bis jede Faser damit gesättigt war. Schon eine Berührung ihrer Hände oder ein Kuss konnte einen Mann an den Rand des Todes bringen, und wenn er in sinnlicher Umarmung bei einer von ihnen lag, war er verloren. Das Gift, das durch die Haut einer Vishkanya drang, lähmte das Herz des Liebhabers, ließ seine Galle gerinnen und das Blut

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