Der Winterpalast
seiner Frau. Sie nickte und warf mir einen kurzen Blick zu, bevor sie die Augen niederschlug.
Und auch der Kanzler des russischen Reichs war gekommen. Nach dem Gottesdienst sah ich ihn seine Schnupftabaksdose hervorziehen. Er öffnete sie und hielt sie Igor hin. »Schottischer, parfümiert mit Bergamotteöl«, sagte er und nahm selbst eine Prise. »Ein Geschenk von meinen neuen englischen Freunden.«
Vor meinem inneren Auge blitzte ein Bild auf: Ich sah meine Hände, die an ihm herumfingerten, und ich bekam plötzlich nur noch schwer Atem. Mir war, als könnte ich jeden Moment in Tränen ausbrechen. Als der Kanzler auf mich zu trat, senkte ich den Blick und starrte auf seine silbernen Schuhschnallen, die sich blinkend von dem Leder abhoben.
»Glück, Wohlstand, Beförderung.« Er sagte es in einem Ton, als spräche er mit sich selbst. Ich wandte mich ab, doch nicht schnell genug. »Du kannst mir dankbar sein«, flüsterte er mir zu, »dass ich mir nichts genommen habe, das dein Mann jetzt vermissen würde.«
Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss.
»Schade, dass du aufs falsche Pferd gesetzt hast«, sagte er leise, dann ging er weg.
Es fand kein richtiges Hochzeitsfest im Palast statt, dafür waren wir nicht wichtig genug. Immerhin hatte die Kaiserin einen Geiger bestellt, sodass sie mit dem Bräutigam tanzen konnte. »Ein guter russischer Ehemann, Warwara«, sagte sie, als die Musik aufhörte, und sie sich keuchend in einem Sessel niederließ. »Das gibt genau die richtige Blutmischung.«
Ich sah, wie die Kaiserin meinem Mann mit den Fingern durchs Haar fuhr, als er sich vor ihr verneigte, und da erkannte ich erst so recht, wie sehr ich mich getäuscht hatte.
Nur wenige Wochen zuvor hatte ich mich noch für unentbehrlich gehalten. Aber jetzt wusste ich, was ich meiner Herrin wert war: so viel wie ein abgelegter Liebhaber und ein abgelegtes Kleid.
Die Regimentskameraden meines Mannes gaben ein Fest für uns. Platten mit Wildbret wurden aufgetragen, ein Spanferkel mit einem Apfel im knusprig gebratenen Maul, gewaltige Schüsseln voll Blini, Buchweizen, saurer Sahne und Kaviar, und das Essen wurde mit Fluten von Wodka und Champagner hinuntergespült. Immer wieder schlugen betrunkene Festgäste mit ihren Gabeln an die Gläser und verlangten, dass wir uns küssten. Igor, zunehmend berauscht von seinem Triumph, tat ihnen bereitwillig den Gefallen, stieß mir seine bitter schmeckende Zunge in den Mund und grub seine Hände durch die Falten meines Kleids. Ich überlegte bereits, ob es nicht klüger wäre, mich mit Wodka zu betäuben, aber etwas in mir mahnte mich, nüchtern zu bleiben, zu beobachten, zu lauschen, abzuwarten und alles meinem Gedächtnis einzuprägen, damit ich es nie vergaß.
Wie unbekümmert er war an diesem Tag, wie überzeugt von sich und seinem Glück. Grenzenloser Optimismus erfüllte Igor Dmitrijewitsch Malikin, die Gewissheit, dass ihn kein Hindernis aufhalten konnte. War er nicht ein Liebling des Schicksals? War er nicht reich belohnt worden für seine Dienste?
Seine Kameraden begleiteten uns in einem fröhlichen Zug unter Späßen und Krakeelen zu unserem Haus in der Apothekergasse unweit der Millionnajastraße. Auf unserem Weg kamen wir an dem Haus vorbei, in dem Katharina und ihre Mutter während der Krankheit des Großfürsten gewohnt hatten, und ich bemühte mich mit aller Kraft, mich im Geist in diese Zeit zurückzuversetzen, in der ich so oft mit Katharina zusammen gewesen war und seit dem Tod meiner Eltern endlich wieder etwas Glück erfahren hatte. In meinem neuen Zuhause standen nebeneinander aufgereiht Igors Dienstboten und beäugten mich argwöhnisch: Was hatten sie wohl von dieser Braut, die ihre Herrin werden sollte, zu erwarten? Eine schielende Frau, die ich für die Köchin hielt, streckte mir einen flachen Korb mit Brot und Salz hin. Ein brauner Jagdhund unter dem Tisch knurrte mich an.
Man hatte mir beigebracht, was sich für eine Ehefrau gehörte.
Im Schlafzimmer kniete ich nieder, um Igor die Stiefel auszuziehen. Wie es die Sitte forderte, steckte in einem Stiefelschaft eine Reitpeitsche. Sie sollte mich daran erinnern, was mir drohte, wenn ich nicht gehorchte. Mein Ehemann war mein Herr, ich durfte nichts tun ohne seine Einwilligung.
Ich war keine Vishkanya . Mein Körper war ungefährlich, meine Gedanken vergifteten nur mein eigenes Herz.
»Wie ist es dazu gekommen?« Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen.
Er hatte zusammen mit anderen Soldaten
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