Der Winterpalast
vor dem kaiserlichen Schlafzimmer Posten gestanden, erzählte er. Da habe die Kaiserin die Tür geöffnet und gefragt, ob einer von ihnen eines ihrer Mädchen heiraten wolle. Immerhin hatte sie gesagt, wie es hieß: Warwara Nikolajewna.
Und er hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt.
Wie eine Leibeigene, die einer auf einer Auktion ersteigert, damit sie ihm neue Sklaven gebiert.
»Wieso hast du mich genommen?«, hörte ich mich fragen.
»Ich erkenne ein gutes Pferd, wenn ich eines sehe«, sagte mein Mann in einem Ton, den er anscheinend für zärtlich hielt. Ihm hatte es gefallen, wie ich durch die Flure des Palasts schritt. Den Kopf hoch, den Rücken gerade. Mein stolzer Blick. Das selbstbewusste Klacken meiner Absätze.
Es ernüchterte ihn, als er in dieser Nacht entdecken musste, wie spröde ich sein konnte, wie bitter eine Belohnung schmeckt, die man sich als Recht nehmen muss. Und ich? Ich wartete bis zum Morgen. Dann, als Igor gegangen war, warf ich die besudelten Laken ins Feuer und starrte in den beißenden, schwarzen Qualm, der von dem brennenden Stoff aufstieg.
Ich bemühte mich, diese Wohnung in der Apothekergasse, sieben Zimmer mit hohen Decken, zu meinem Zuhause zu machen. Mein Ehemann hatte sie von einem deutschen Kaufmann gemietet, der
ihm versichert hatte, wir würden dort die süßen Düfte riechen, die aus dem Sommergarten herüberwehten, und früh am Morgen, wenn es still sei, könne man sogar die Meerkatzen in ihren Käfigen schwatzen hören. Alles, was ich roch, war Ruß und Kohlsuppe, und hören konnte ich immer nur das Gehämmer des Schusters, der ein paar Kammern im Hinterhaus bewohnte.
Ein Zuhause, das und nichts anderes hatte ich mir immer gewünscht. Aber wenn ich das Wort aussprach, hallte es leer, wie wenn man in eine Brunnenröhre hinunterruft. Mein Mann hatte die prächtigen Möbel aus Mahagoni gekauft, die Ottomane, die Sessel im Wohnzimmer. Das einzige Ding, das wirklich mir gehörte, war der alte Koffer, den ich aus dem Palast mitgebracht hatte.
Die Scharniere quietschen, als ich den Deckel hob.
Ich nahm das Musselinkleid meiner Mutter heraus und drückte es an mein Gesicht. Ich konnte mir nicht mehr richtig vorstellen, wie ihre Stimme geklungen hatte, wie es sich angefühlt hatte, wenn sie mir übers Haar strich. Tränen schossen mir heiß in die Augen, ich wischte sie zornig weg. Ich sah die rosa gestrichenen Wände an, die burgunderroten Vorhänge, die goldenen Quasten, die im Kerzenlicht schimmerten. Nichts davon ist meins , dachte ich.
Komm neun Monate nach der Hochzeit mit einem Sohn wieder hierher , hatte die Königin gesagt, als sie mich mit der Ikone gesegnet hatte.
Ich dachte jeden Morgen nach dem Aufwachen daran und jeden Abend, bevor ich einschlief. Konnte es sein, dass es ein Versprechen gewesen war, dass ich dann in den Palast zurückkehren durfte?
»Wie oft hast du sie bespringen müssen, um das alles zu bekommen?«, schrie ich ihn einmal an. Ich machte eine ausholende Armbewegung, die dieses Haus, die Dienerschaft, die Beförderung zum Leutnant einschloss. Ich sah den Schock in seinen Augen. Seine Lippen kräuselten sich, seine Zähne blitzten. Sein Körper, dieser muskulöse Körper, auf den er so stolz war, erstarrte.
Ich dachte, er würde mich schlagen.
Stattdessen lachte er. Ein abgehacktes, unfrohes Lachen, aber in seinen Augen sah ich ein unsicheres Flackern, das mir sagte, dass ich gesiegt hatte.
Es war ein hohler Triumph. Ich weiß noch, wie leer ich mich fühlte, wenn ich am Morgen aufwachte, neben mir Igor, der schnarchte oder im Schlaf vor sich hin brabbelte. Ich schüttelte die Erinnerung an seine gierigen Hände ab, die meine Brüste, meinen Bauch, die Stelle zwischen meinen Beinen betatschten, auch wenn mir war, als hätte sich seine Berührung eingebrannt.
Ich musterte das Ehebett, das massive, mit Schnitzereien verzierte Gestell, die Vorhänge, die nicht vor der kalten Zugluft schützten. Wenn die Fensterläden vorgelegt waren, verwandelte sich der Raum prompt in ein Verlies, aus dem es kein Entkommen gab.
In den ersten Wochen meiner Ehe tröstete ich mich mit Rachephantasien. Ich stellte mir vor, wie Igor nach einer nächtlichen Sauftour in einer dunklen Gasse von einem Degen durchbohrt wurde oder, wenn ich eher großzügig gestimmt war, auf einem fernen Kriegsschauplatz den Heldentod starb. Ich stellte mir vor, dass der Kanzler – etwa wegen irgendeiner Panne in seinen diplomatischen Winkelzügen oder weil er einem
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