Der Winterpalast
allzu verlockenden Bestechungsversuch nicht hatte widerstehen können – in Ungnade fiel. Ich stellte mir vor, dass die Kaiserin mich wieder zu sich rufen ließ, ja, dass ich an den Hof zurückkehren durfte, und zwar nicht als eine dahergelaufene Polin, die Spitzeldienste verrichtete, sondern als die geachtete Witwe eines russischen Edelmannes und neue Ehrendame Katharinas.
Das Hochzeitsgeschenk von der Großfürstin lag sicher verwahrt in meinem Schreibtisch. Es war ein Blatt mit einer Sepiazeichnung: Ein Kompass, ein Schädel, eine Pergamentrolle und Schreibfedern waren darauf zu erkennen, offenbar willkürlich über das Papier verstreut, und dazwischen ein Gewirr verschlungener Linien, das weder ein Muster noch irgendeinen Sinn ergab.
Kein »richtiges« Hochzeitsgeschenk , hatte sie geschrieben, aber ich glaube, es wird dir gefallen.
Ich betrachtete die sonderbare Komposition lange angestrengt, aber ich kam einfach nicht dahinter, was sie zu bedeuten hatte. Und dann eines Tages, als ich mich bückte, um etwas vom Boden aufzuheben, fiel mein Blick in einem ganz bestimmten Winkel auf die Zeichnung, und da erkannte ich plötzlich, was es war: Ein Vexierbild von einer Art, die mir damals noch unvertraut war. Die seltsamen Objekte, die ich so lange vergeblich zu enträtseln versucht hatte, gehörten, wie ich jetzt sah, zu einer Frauenfigur: In einen Umhang gehüllt, in der Linken eine Schriftrolle, in der Rechten eine Feder, steht sie triumphierend aufgereckt da, einen Fuß auf den Schädel gestellt, der vor ihr liegt.
Wie es uns ging? Bestens, hätte mein Mann geantwortet.
Es kam Igor gar nicht in den Sinn, dass ich seine Begeisterung nicht teilen könnte. Er war das Lieblingskind von Mütterchen Russland, verwöhnt nach Strich und Faden, und er war jung und stark. »Ich könnte ein Pferd mitsamt den Hufen essen«, röhrte er, wenn er abends nach Hause kam und aus der Küche Töpfe klappern hörte. Nach dem Essen patschte er sich zur Freude der Köchin und der Dienstmädchen selig den Bauch. Wenn er verkatert war, bestellte er mit großer Gebärde einen großen Humpen Kwass – schön kühl und schaumig – und ein rohes Ei, das er laut schlürfend und schmatzend austrank. Ich glaube nicht, dass ihm in seinem Leben ein Schmerz begegnet war, der nicht von einer Klinge oder Kugel herrührte, und kein Gedanke an seine eigene Vergänglichkeit hatte ihm je eine böse Stunde bereitet. Die Narben aus seinen Kämpfen trug er wie Ehrenzeichen, wie Beweise seiner unbesiegbaren Lebenskraft. Häufig forderte er mich auf, eine sonderbar zackige Narbe an seinem Arm zu betasten, die, wie er behauptete, ein Andenken an einen Messerstich war.
Meine wenigen Versuche, ihn darauf aufmerksam zu machen, was unter der Oberfläche unseres Lebens vor sich ging, lösten
nur ungläubiges Gelächter aus: »Was, wir stehen unter Beobachtung? Du hältst es für möglich, dass unsere Dienstboten uns bespitzeln? Du liest zu viele Romane, kison'ka !«
War ich wirklich nur ein Kätzchen? War mein Zorn nur ein harmloses Fauchen?
Er war mein Ehemann, er war der Herr im Haus, der alle wichtigen Entscheidungen traf. »Ach, kison'ka «, sagte er oft, »dass die Frauen immer über Dinge streiten wollen, von denen sie nichts verstehen.«
Ich kümmerte mich darum, dass Igors Uniform immer sauber und adrett war, dass seine Stiefel glänzten und immer genügend gestärkte weiße Taschentücher zur Hand waren. Wenn die Köchin behauptete, sie habe einen Teller zerbrochen, ließ ich mir die Scherben zeigen und besorgte dann einen neuen Teller. Ich hielt dem Dienstmädchen eine Standpauke, weil es die Asche vor dem Kamin nicht zusammengekehrt hatte. Ich ließ die Suppe zurückgehen, weil sie versalzen, den Braten, weil er nicht saftig genug war. Die Dienstboten duckten sich unwillkürlich, wenn sie mich sahen, und trauerten den guten alten Zeiten nach, als sie noch keine Herrin und nur einen Herrn gehabt hatten, der dann aß, wenn das Essen aufgetragen wurde, und nie an ihrem Diensteifer zweifelte. »Die Herrin kommt«, hörte ich sie in der Küche flüstern, und dann zerstreuten sie sich schnell und gingen mit vermehrtem Fleiß wieder an ihre Arbeit.
Die schielende Frau, die mich an meinem Hochzeitstag mit Brot und Salz willkommen geheißen hatte, war nicht die Köchin, sondern die Haushälterin. Sie hieß Mascha und trat mir als Einzige unter allen Dienstboten furchtlos entgegen. Nach ihrem runzligen Gesicht zu urteilen, hatte sie ihre
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