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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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Stimme. Nur noch ein paar Monate, dann war er so weit. Dann würden wir aus dieser Mietwohnung ausziehen, die Stadt mit ihrer verqualmten Luft hinter uns lassen. Er würde ein Landgut kaufen. Vielleicht, fürs Erste, nur ein kleines, aber eines mit einem Teich und einer Wiese für die Pferde. Er hatte bereits einen Zuchthengst im Auge, den er kaufen wollte. Der Besitzer brauchte dringend Geld, er würde ihm einen guten Preis machen.
    In dieser Erinnerung, die mich so hartnäckig verfolgt, riecht die Küche nach feuchter Wolle und Teer. Sein Hemd trocknet am Herd. Igor sieht mich mit glänzenden Augen an.
    »Da kann man Pilze sammeln, kison'ka , und Rebhühner schießen. Und Mascha kann im Garten Gemüse pflanzen.«
    »Und woher willst du das Geld nehmen, um das alles zu bezahlen?«, frage ich, bevor ich mich abwende. »Gewinnst du das alles beim Pharo? Oder hoffst du darauf, dass die Kaiserin dich noch einmal zu sich ins Bett holt?«
     
    Ein Bürgerlicher konnte in Russland adelig werden, wenn er hoch genug in der Rangtabelle der militärischen oder zivilen Ämter aufstieg. Igors Vater hatte sich auf diese Weise als Verwaltungsbeamter in der Provinz hochgedient. Aber wenn sein Sohn auch Anspruch auf die Anrede »Euer Hochwohlgeboren« hatte, haftete seinem Adel doch immer der Makel des Neuen an. Mochte er
auch noch so hohe Summen am Spieltisch setzen und noch so laut auf die Erben altehrwürdiger Titel und schrumpfender Vermögen schimpfen, so blieb er ihnen doch im Winterpalast immer untergeordnet.
    War das der Grund, warum Igor sich für mich interessiert hatte? Wollte er eine Frau, die Zugang zur Kaiserin hatte und die genau wusste, wie es am Hof zuging? Die ihm helfen würde, seinem Sohn – falls Gott ihm einen schenkte – eine ehrenvolle Stellung zu sichern, um die er nicht ständig kämpfen musste?
    Ich hätte ihn fragen können, aber damals kamen mir solche Gedanken gar nicht in den Sinn.
    Dieses Leben war so unendlich fade, fand ich. Höflichkeitsbesuche empfangen und abstatten. Namenstage feiern. Soireen und Konzerte. Langwierige Gespräche über Statusfragen und vierspännige Kutschen, ganze Tage, von denen einem nichts in Erinnerung bleibt als feine Porzellantassen mit Tee oder Wassermeloneneis, das in der Sommerhitze schmilzt. Was wussten alle diese Leute von mir, diese neuen Bekannten, die mir Komplimente machten und wissen wollten, wie die Kaiserin »als Mensch« sei, wenn sie sich unbeobachtet vom Hof in ihren Privatgemächern aufhalte.
    Ich gab nur vage Auskünfte. Wenn es möglich war, flüchtete ich klammheimlich aus solchen Gesellschaften, oder ich täuschte einen Schwindelanfall oder Migräne vor. Wenn das nicht in Frage kam, hörte ich einfach zu und schwieg, bis das Getuschel um mich herum sich auflöste.
    Das ist nicht das Leben, das ich mir gewünscht habe , dachte ich. Aber so ist es, und so wird es bleiben.
     
    Ich hatte Katharina nicht vergessen.
    Als Mascha vom Tatarenmarkt nach Hause kam, folgte ich ihr in die Küche, lobte den Braten, den sie gekauft hatte, und die wunderbar klare Brühe, die auf dem Herd simmerte, und fragte sie nebenbei nach dem neuesten Hofklatsch, der unter den Dienst
boten umging. Maschas schielendes Auge zog sich weit in seine Höhle zurück, als sie mich argwöhnisch musterte, aber sie enttäuschte mich nicht.
    Die Stimmung im Palast war nicht gut, berichtete sie. Zu viele Leute schnüffelten um das Bett der Großfürstin herum. Wieso ließen sie die jungen Leute nicht einfach eine Zeit lang in Frieden? Gut Ding will Weile haben, das wusste doch jeder!
    Katharina und Peter standen unter Beobachtung. Ihre Wohnung im Palast war wie ein Gefängnis. Als Wärter fungierten die Tschoglokows. Madame und Monsieur Tschoglokow waren hohe Herrschaften, an den beiden kam niemand vorbei, der zum Großfürsten und seiner Frau wollte. Sie benahmen sich, als wären sie selbst kaiserliche Hoheiten, obwohl doch jeder wusste, dass sie nur durch Bestechung und weil sie acht Kinder hatten, zu ihrer Position gelangt waren. Als ob die Großfürstin allein vom Anblick ihrer rotznasigen Blagen schwanger werden könnte!
    Auf dem Tatarenmarkt, erzählte Mascha, habe man viel gelacht über die Tschoglokows: Er lasse keine Gelegenheit aus, die Dienstmädchen zu betatschen, während sie andauernd beteuere, ihr Mann habe nur Augen für sie.
    Jeden Abend geleiteten die beiden Katharina und Peter ins Schlafzimmer und sperrten die Tür hinter ihnen zu. Erst am nächsten Morgen werde wieder

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