Der Winterpalast
besten Jahre hinter sich. »Maschenka, duschenka «, scherzte Igor oft und gab ihr einen schmatzenden Kuss auf die Wange, wenn sie ihm wieder einmal prophezeite, er werde seine Gesundheit ruinieren, wenn er weiter so viel trank und so wenig schlief. »Wer nicht hören will, muss
fühlen«, murrte sie dann, als wäre Igor immer noch ein Lausbub, der über Zäune kletterte, Bohnenstangen umwarf und auf den Feldern Rebhühner jagte.
Igors Vater hatte sie vor vielen Jahren auf einer einsamen Landstraße irgendwo im Norden aufgeklaubt, ein halb verhungertes, in Lumpen gekleidetes Mädchen, das mutterseelenallein umherirrte. »Ich hätte den nächsten Tag nicht mehr erlebt«, sagte sie mir, immer noch voll ehrfürchtigem Staunen angesichts des Wunders, dass ein Fremder sich ihrer erbarmt hatte.
Der Herr hatte sie mit seinem eigenen Mantel zugedeckt, die Herrin, hochschwanger mit dem Kind, das später Maschas Herr werden sollte, hatte sie mit Haferschleim und köstlicher gelber, fetter Hühnerbrühe gefüttert.
Es dauert lange, bis so einem bis auf die Knochen durchgefrorenen Mädchen wieder warm wird.
»Lass mich allein, Mascha«, sagte ich. Ich wollte ihre Geschichten nicht hören.
»Es ist nicht gut, so viel zu schlafen, Warwara Nikolajewna«, mahnte sie und: »Sie sollten nicht immer in den Spiegel starren. Man kann sich so leicht darin verlieren.«
In der Welt, in der ich früher gelebt hatte, einer Welt voller Schlingen und Fallstricke, hatte ich mich nicht davor gescheut, auf der Türschwelle innezuhalten, war ich schwarzen Katzen nicht aus dem Weg gegangen, hatte ich dem Gedanken, der mir gerade durch den Kopf gegangen war, als ich niesen musste, keine besondere Bedeutung zugemessen. War ich einfach zu dickfellig gewesen? Zu dumm? Oder war es tödlicher Leichtsinn gewesen?
Ich verbarg mich vor Mascha. Ich zog mich in mein Schlafzimmer zurück und verstopfte das Schlüsselloch mit einem Taschentuch. Ich hörte nicht hin, wenn ich ihre schlurfenden Schritte vernahm. Aber es half alles nichts: Ihre streng gluckenden Warnungen wollten nicht verstummen.
Die Garden waren in ganz Russland berühmt für ihre wilden Feste und ihre Leidenschaft für das Glücksspiel. Beim Pharo spielten sie mit Schwindel erregend hohen Einsätzen. Wenn Igor seine mit Smaragden besetzte Schnupftabaksdose zum Pfandleiher trug, wusste ich, dass er verloren hatte. Wenn er sie wieder auslöste, war klar, dass er gewonnen hatte. Ich hörte von Duellen und von waghalsigen Mutproben im Suff – bei einem Pferderennen jagte er beinahe sein Tier zu Tode. Ich forschte nicht nach, wo er seine Tage und Nächte verbrachte. Es war mir egal, wenn ich das Parfüm von anderen Frauen an ihm roch. Wer nicht liebt, kann nicht betrogen werden.
»Macht dir das gar nichts aus, kison'ka ?«, fragte er einmal.
»Würde das an deinem Verhalten irgendetwas ändern?«, erwiderte ich.
An dieser Stelle kommt mir eine Erinnerung, die sich nicht vertreiben lässt. Igor sitzt auf einem Küchenstuhl, eine Wolldecke über den breiten Schultern. Wasser tropft von seinen Haaren, seiner Nase und sammelt sich zu einer Pfütze um seine nackten Füße. Mascha scheucht die Dienstboten umher, lässt sie tüchtig einheizen und einen Zuber mit heißem Wasser füllen.
»Wie ein kleiner Bub … keinen Deut besser als der alte Herr … zuerst handeln, dann denken«, murrte sie, während sie ihm die Haare mit einem Handtuch trocken rubbelte. Seufzend betrachtete sie das zerrissene Hemd, die schmutzige Ausgehuniform. Ein silberner Knopf fehlte.
»Ich bin nicht krank, Maschenka«, sagte mein Mann, »nur ein bisschen nass.«
»Was hast du wieder angestellt?«, rief ich. »Was für einen Blödsinn –«
Ich führte den Satz nicht zu Ende. Mascha warf mir mit ihrem guten Auge einen warnenden Blick zu. Jetzt ist nicht die rechte Zeit für ein Verhör. Er muss erst wieder warm werden.
Aber ich gab nicht auf.
Nach und nach, während er gierig kochend heißen Borschtsch löffelte, rückte er mit den Details heraus. Ein Spaziergang am Fluss, eine Wette. Ein Kamerad meinte, und andere stimmten ihm zu, niemand würde es schaffen, zur Wasiljewskiinsel zu schwimmen.
»Ich schon«, hatte mein Mann gesagt.
»Pass auf, ich zeig dir was, kison'ka .« Ohne auf die zeternde Mascha zu achten, ließ Igor sich seinen Tschako bringen. Darin lag eine dicke Brieftasche, vollgestopft mit dem Geld, das er gewonnen hatte.
Wieder war da dieser unerschütterliche Optimismus in seiner
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