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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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gebückt. Einmal blieb er kurz stehen und musterte die Menge. Sein Blick verweilte nur kurz auf der Stelle, wo ich stand.
    Mir wurde schwindlig. Vor meinen Augen huschten dunkle Punkte hin und her, Schweißperlen sammelten sich auf meiner Stirn. Was für eine Dummheit, zu denken, ich wäre schon wieder gesund!
    Ich biss die Zähne zusammen, richtete meinen Blick nach oben auf das lichtdurchflutete Fenster aus buntem Glas. Alle Farben des Regenbogens tanzten und wirbelten vor meinen Augen. Der Schwächeanfall ging vorüber.
    Die Offiziersgattinnen um mich herum, die Einladungen zu dem Bankett erhalten hatten, das nach dem Gottesdienst stattfinden sollte, tuschelten aufgeregt in Erwartung der Festlichkeiten: Duftende Orangen- und Granatapfelbäumchen sollten die Tische umrahmen, in den Sälen würden Brunnen plätschern, aus einer Glaskuppel würde brennendes Wachs niederregnen und eine Feuerpyramide schaffen.
    Ich würde nichts davon zu sehen bekommen. Man hatte, so hieß es, der Großfürstin eine besonders erlesene Gesellschaft zugedacht: Nur Mütter von gesunden Kindern hatten Zutritt zu den Räumen, in denen sie sich aufhielt.
     
    In den folgenden Wochen wagte ich mich wieder, immer Mascha im Schlepptau, in die Stadt. Es machte mir nichts aus, mich unter Soldaten und Diebe zu mischen, ich wanderte furchtlos durch
die Straßen, vorbei an Palästen und an baufälligen Holzhütten, an rissigen Ziegelmauern und an Kirchen, denen Bescheidenheit verordnet worden war, damit sie den Glanz der kaiserlichen Prachtbauten nicht überstrahlten.
    Ich hätte es niemandem eingestanden, aber ich hoffte die ganze Zeit, der kaiserlichen Kutsche zu begegnen. Katharina würde mich sehen, so träumte ich, und anhalten lassen, um mit mir zu reden, wenn auch nur eine kurze Minute lang und obwohl ich nicht mehr für sie tun konnte, als sie zu ermuntern und ihr zu sagen, sie dürfe den Mut nicht verlieren.
    Mascha taten die Füße weh. Ich sei wie der Nordwind, murrte sie, der kreuz und quer umherjage wie von bösen Geistern gehetzt.
    »Und was für ein Wind bist du, Mascha?«, erwiderte ich gereizt, aber sie blieb gelassen und musterte mich zufrieden mit ihrem guten Auge. Seitdem ich »wieder auf dem Damm« war, wie sie es ausdrückte, wusch sie mir regelmäßig die Haare mit Kwass, wovon sie einen rötlichen Schimmer bekamen. »Das gefällt dem Herrn«, sagte sie immer mit einem verschlagenen Lächeln, wenn ich mich dagegen sträubte.
    Ich ließ ihr ihren Willen.
     
    Im September, als der Hof den Namenstag der Kaiserin feierte, sprach ich zum ersten Mal seit meinem Hochzeitstag wieder mit Katharina.
    Im Rahmen der Feierlichkeiten wurde im Russischen Theater Sussanins Rache aufgeführt, eines jener historischen Dramen, die ganz nach dem Geschmack Elisabeths waren. Es spielte in der »Zeit der Wirren«, einer kriegerischen Periode, in der Russland an den Rand seiner Existenz geriet, bevor es in letzter Minute von Elisabeths Urgroßvater Michael, dem ersten Romanow auf dem Zarenthron, gerettet wurde.
    Zur dritten Vorstellung wurden Offiziere und ihre Ehefrauen eingeladen.
    In dem Stück war eine Abteilung des polnischen Heeres auf
dem Marsch, um den rechtmäßigen Zaren zu ermorden und einen Usurpator an dessen Stelle zu setzen. Ihr Hauptmann prophezeite in einer prahlerischen Rede den Untergang Russlands und seinen eigenen Aufstieg zu Ruhm und Ehre. Dann trat Iwan Sussanin auf, ein gutaussehender junger Bauer, der sich erbot, die Polen durch die Sümpfe zu führen. Bevor der Vorhang zur Pause fiel, verriet der Held in einem langen Monolog dem Publikum, was er vorhatte: Er wollte die Feinde Russlands vernichten – der Sumpf sollte sie verschlingen.
    Ich fand das Stück reichlich plump, verkniff mir aber jede Kritik, weil ich gehört hatte, dass es der Kaiserin gefallen hatte. Nach der Premiere war der Autor um mehrere Grade der Rangtabelle befördert worden und hatte ein Landgut als Geschenk erhalten.
     
    Offenbar war Katharina zu spät gekommen, als die Vorstellung bereits angefangen hatte, denn erst in der Pause hörte ich ihre Stimme aus der kaiserlichen Loge.
    »Ich gehe mal frische Luft schnappen«, sagte ich zu Igor.
    Die Tür zur kaiserlichen Loge stand offen, und es hatte sich bereits eine dichte Menge von Gratulanten eingefunden. Ich erkannte den Fürsten Naryschkin, Gräfin Rumjanzewa und andere Hofdamen, die sich in Lobreden über die Schauspieler, die Festlichkeiten anlässlich des Namenstags und über die Großfürstin

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