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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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und im nächsten Moment, so kam es mir vor, lief sie jauchzend auf mich zu, wenn ich meine Arme ausstreckte.
    Sie war so arglos und offen, erwartete von jedem Menschen, dem sie begegnete, ob sie ihn kannte oder nicht, nur Gutes. Und dabei war die Welt, in die sie hineinwuchs, voller Grausamkeit und Schrecken. Wie kann ich sie beschützen, dachte ich, wie kann ich ihr beibringen, wem sie trauen darf?
    Igor war hingerissen von Darenka. Er bewunderte die leichte Anmut ihrer Schritte, ihre wilde Energie, wenn sie freudig auf ihn zu rannte. »Hoch!«, rief sie, »hoch!«, bis er sie auf den Arm nahm und in der Luft herumschwenkte. Für sie verwandelte er sich in einen Bären, der aus dem Wald angetappt kam und ihren Teller leer aß, wenn es etwas gab, das sie nicht mochte, für sie beschwor er Engel aus den Schatten an der Wand.
    »Du hast deinem Papa das Herz gestohlen«, sagte Mascha zu ihr.
    »Wie?«
    »Du hast es dir geschnappt wie ein Dieb. So flink, dass er es gar nicht bemerkt hat.«
     
    Kinder beherrschen instinktiv die Kunst, Menschen einander nahezubringen, ganz langsam und geduldig, mit Geschichten und Geheimnissen, so wie man einen Geliebten, eine Geliebte verführt. Wenn sie auf meinem Schoß saß, verlangte sie, dass Igor neben uns Platz nahm. Wenn er sie in den Armen hielt, streckte sie die Händchen nach mir aus.
    Am Abend wollte sie immer Geschichten hören: von einem kleinen Mädchen, das von weit, weit weg nach Sankt Petersburg kam, von einem Jungen, der Burgen aus Schnee baute und so viele Blini mit saurer Sahne aß, bis ihm schlecht wurde. Sie ließ sich die polnischen Lieder meiner Mutter vorsingen und Igors Ballade über den Wind in den Steppen und die Kosaken, die in die Fremde reiten.
    Einmal fragte Mascha sie: »Wen hast du lieber, Darenka, deine Mama oder deinen Papa?«
    Ihr Gesichtchen wurde rot, und sie brach in Tränen aus.
    Aber Kinder wissen nicht, dass es Geheimnisse gibt, die so schrecklich sind, dass man sie mit niemandem teilen kann, und Träume, die so stark sind, dass sie niemals sterben.
    Oft, wenn wieder einmal eine Rechnung ins Haus gekommen war, die wir nicht bezahlen konnten, hielt ich sie Igor vors Gesicht. »Was, denkst du, soll einmal aus Darja werden?«, fragte ich ihn. Er verwöhnte seine Tochter, schenkte ihr ständig Sachen, die sie gar nicht brauchte – ein Kleid, eine Gitarre, Porzellangeschirr für ihr Puppenhaus, ein Fernrohr –, aber zu wirklicher Liebe gehört mehr als das.
    In etwa einem Jahr würde man eine Gouvernante brauchen, später einen Klavierlehrer, einen Tanzmeister. Womit sollten alle diese Leute bezahlt werden? Mit leeren Versprechungen? Mit Märchen von einem großartigen Landgut, das wir bald besitzen würden?
    Ich hörte in meiner Stimme den kalten, tückischen Zorn klingen, den ich in meiner Hochzeitsnacht empfunden hatte, den Neid auf die Vishkanyas , deren Körper mit Gift durchtränkt war.
    »Hast du dir schon einmal vorgestellt, was aus Darja würde, wenn du sterben würdest? Wir müssten betteln gehen.«
    Er starrte mich dann jedes Mal nur stumm an mit diesen dunklen Augen, die Darja von ihm geerbt hatte, bevor er sich umdrehte und hinausstolzierte.
     
    Fragen Sie mich, bitte, nicht nach »guten Nachrichten« , hatte sie geschrieben, und so ließ ich es bleiben. Nachdem der Kanzler im Januar 1752 die strengen Beschränkungen des Lebens in Oranienbaum etwas gelockert hatte, konnte Katharina jetzt immerhin von Schlittenfahrten und neuen Ballkleidern berichten. Der Großfürst hatte eine neue Leidenschaft entdeckt und dressierte jetzt mit Hingabe Jagdhunde, aber er hatte auch seiner Frau einen englischen Zwergpudel geschenkt, der hübsche Spitzenunterröckchen trug. Die Eheleute gingen zu einer Hochzeitsfeier und tanzten dort miteinander, wenn auch recht steif und ungeübt. Die Kaiserin hatte sie zu einem Maskenball eingeladen. Katharina hatte sich für das Fest eine grüne Preobraschenski-Uniform mit roten Aufschlägen machen lassen. Die Kaiserin war vor lauter Schreck fast in Ohnmacht gefallen, als einer der Hofnarren ihr einen jungen Igel überreicht hatte, den sie für eine Maus gehalten hatte. Katharina hatte sich gerade noch retten können, als ein Haus, in dem sie sich aufhielt, zusammenfiel. Später sagte man ihr, irgendein Dummkopf habe bei Bauarbeiten einen Stützbalken umgesägt. Sie klagte über Zahnweh und dann über den Arzt, der ihr den wehen Zahn mitsamt einem Stück Kieferknochen herausgerissen hatte: Die Finger des Mannes

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